Wenn ein ehrenamtlicher Ortschronist stirbt, stellt sich oft die Frage, wer über die erforschte Heimatgeschichte verfügen darf – die Stadt Rheinsberg will sich die Rechte an den Ortschroniken sichern und hat dazu eine Satzung erarbeitet.
Celina Aniol
(aus: Märkische Allgemeine; 25.11.2022)
Rheinsberg. Ortschronisten sind die Hüter der Geschichte in Dörfern oder kleinen Städten. Doch was passiert, wenn die sterben? Im Normalfall fehlen sie vor allem als diejenigen, die das Leben im Ort akribisch mitverfolgen und aufzeichnen Es gibt aber auch ein anderes Szenario – ein solches, vor dem sich Frank-Rudi Schwochow fürchtet.
„Es ist schon einmal passiert, dass die Erben die Chronik nicht rausgeben wollten“, erzählt der Rheinsberger Bürgermeister. Oder dass sie das für die Kommune so wertvolle Schriftstück aus Versehen entsorgt haben.
Geschehen sei das zwar nicht in seiner Gemeinde, aber in der Region drumherum, meint Schwochow. Das sei vor nicht allzu langer Zeit bei einem der regelmäßig stattfindenden Treffen der Verwaltungschefs von Ostprignitz-Ruppin berichtet worden.
Aus dieser Runde hat der Bürgermeister auch die Anregung mitgenommen, sich vor einem solchen – zugegebenermaßen seltenen, aber doch vorkommenden – Unglücksverlauf zu schützen. Und zwar im Vorfeld.
Davor bewahren soll die Stadt und ihre Ortsteile eine neue Satzung. Diese soll unter anderem klarstellen, welche Aufgaben ein Chronist erfüllen sollte – und wem die Früchte seiner Arbeit am Ende gehören. Sie soll durch eine Vereinbarung mit jedem einzelnen Ortschronisten ergänzt werden.
Vor dem Verfassen der Papiere hat sich die Stadt umgeschaut, wie andere Kommunen das geregelt haben, und sich auch davon inspirieren lassen, berichtet Schwochow. Über den Entwurf der Satzung beraten derzeit die Ortsbeiräte.
Diejenigen, die sich damit bereits befasst haben, darunter waren unter anderem Dorf Zechlin, Kleinzerlang und Zechlinerhütte, haben den Vorschlag der Verwaltung auch bestätigt. Von Ausschüssen bewertet werden soll der Entwurf aber erst später.
Denn bei der Ortsvorsteherberatung gab es verschiedene Sichtweisen darauf, wie man das Problem am besten anpacken sollte, sagt Schwochow. Er will aber mit einem abgestimmten Vorschlag in die Diskussion mit den Stadtvertretern einsteigen.
Dabei sei noch vieles offen. Und Veränderungen in dem Satzungsentwurf durchaus denkbar. „Ob man das zum Beispiel so umfangreich machen muss, wie wir es jetzt gemacht haben, das ist die Frage.“ Das Entscheidende sei aber, dass es am Ende eine klare gesetzliche Regelung gibt.
Und es gebe noch einen weiteren Vorteil, sich mit dem Thema zu beschäftigen, meint der Bürgermeister. Denn das Gespräch darüber habe einige Dorfvertreter dazu angeregt, sich mal wieder um einen Ortschronisten zu bemühen. Zwar gibt es in jedem Teil Rheinsbergs eine Chronik, nicht überall aber jederzeit Menschen, die diese fortschreiben.
Jörg Möller findet es gut, dass sich die Stadt des Themas angenommen hat und dass sie die Frage der Rechte an den Ortschroniken klären will. Für den Stadtverordneten und Vorsitzenden des Vereins Stadtgeschichte Rheinsberg, der seit langem Jahrestreffen für alle Rheinsberger Ortschronisten organisiert, ist auch klar, dass Letztere bei der Stadt liegen sollten. An einigen vom Rathaus vorgeschlagenen Details in der Satzung übt er aber Kritik.
Er sieht es zum Beispiel als ein Problem, dass die Kommune den Hobbyheimat-Historikern bei der Gelegenheit zahlreiche neue Aufgaben auferlegen will. Der Satzungsentwurf sieht vor, dass sie neben dem Führen aktueller Annalen wie bisher künftig auch alte Chroniken vervollständigen, Dokumentationen für Jahrbücher liefern, ihre Arbeitsergebnisse mindestens einmal im Jahr öffentlich präsentieren und Sprechstunden abhalten.
Den Aufwand, der dadurch auf die Ortschronisten zukommen würde, empfindet Möller als „enorm“. Er geht davon aus, dass kaum jemand bereit sein wird, eine solche Verpflichtung einzugehen. Zumal die Aufwandsentschädigung nur 25 Euro jährlich betragen soll. „Das reicht gerade mal für Druckerpapier, nicht mehr aber für die Druckerpatronen.“ Andere Kommunen, die Ähnliches verlangen, zahlen da deutlich mehr, hat Möller recherchiert.
Auch sein Verein werde diese Vorstellungen kaum erfüllen können, obwohl er viele Mitglieder hat. „Aber wir haben jetzt schon viele Projekte, die unsere Kräfte binden.“ Alleinkämpfer wie die Ortschronisten in den Dörfern dürften nach Einschätzung des Vereinschefs noch weniger dazu bereit sein, sich die Extra-Aufgaben auf den Tisch zu ziehen. Zumal die Schreiber nicht automatisch auch große Präsentierer sind, und manche den Vortrag in der Öffentlichkeit scheuen dürften.
Möller sieht es auch kritisch, dass die Urschriften der Aufzeichnungen im Rheinsberger Rathaus aufbewahrt werden sollen. Denn dadurch würde sich die Identifikation der Dorfbewohner mit den Annalen verringern – und es könnte sein, dass dann auch die Bereitschaft in den Ortsteilen sinkt, diese überhaupt noch zu führen.
Seiner Meinung nach werden sich die ehrenamtlichen Geschichtsschreiber aber nicht völlig zurückziehen. „Sie werden es machen wie bisher“, glaubt Möller. Aber eben ohne, dass sie die Vereinbarung mit der Stadt unterschreiben, wenn diese so ausfällt, wie der Entwurf es vorsieht.
[Bildunterschriften:]
[oben:] Jörg Möller ist Vorsitzender des Vereins Stadtgeschichte Rheinsberg. Er weiß, wie viel Arbeit es macht, eine Ortschronik zu führen. Foto: Celina Aniol (Archiv)
[unten links:] „Es ist schon einmal passiert, dass die Erben die Chronik nicht rausgeben wollten.“ Frank-Rudi Schwochow[,] Bürgermeister von Rheinsberg
[unten rechts:] Ortschronist Wilfried Schmidt berichtet über das alte Amtshaus. Foto: Bark