Zur Technikgeschichte des Kernkraftwerks Rheinsberg gibt es bereits Veröffentlichungen. Doch nun haben sich studierende der TU Berlin und der MHB gemeinsam des Themas angenommen.
Elisabeth Voigt
(aus: Ruppiner Anzeiger; 29.06.2021)
Eigentlich sollte eine Ausstellung entstehen. Dr. Andreas Jüttemann arbeitete zu Beginn der Corona Pandemie an der Technischer Universität Berlin (TUB). Die Hochschulrektoren-Konferenz hatte das Projekt „Kleine Fache] sichtbar machen" ausgeschrieben. Technikgeschichte -das Fach, das Jüttemann unterrichtete war so ein Spezialthema. Gemeinsam mit seinen Studierenden entwickelte er die Idee, sich mit einer Ausstellung über das Kernkraftwerk Rheinsberg an der Ausschreibung zu beteiligen. Der Titel des Buches lautet: „Kernkraftwerk Rheinsberg. Geschichte und Zukunft einer Technik" Im Masterseminar „Geschichte und Zukunft der Technik" wollten die Studierenden und Dozenten interdisziplinar in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kernenergie eintauchen. Es sollte um Bau, Betrieb, Stilllegung und Rückbau gehen, um ökologische und medizinische Auswirkungen und schließlich um alternative Energieformen für die Region. Seminar mit Zeltzeugen „Geplant hatten wir eine Exkursion nach Rheinsberg und eine Ausstellung im dortigen Haus der Stadtgeschichte. Dann kam Corona, und es wurde ein virtuelles Seminar mit Experten und Zeitzeugen daraus, das in ein Buchprojekt mundete", beschreibt Jüttemann das Geschehen. „Kernkraftwerk Rheinsberg. Geschichte und Zukunft einer Technik" heißt das entstandene Buch, das von ihm und seinem Kollegen Martin Schlecht herausgegeben wurde. Geschrieben haben es 28 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Disziplinen. Zusammengefasst sind Themen zur Geschichte, zur Umwelt, zur Medizin, zum Tourismus und zum Ausstieg aus der Kernenergie. Jüttemann hat ein Kapitel zur Geschichte der Kernreaktoren in Berlin und Brandenburg beigesteuert. MHB-Studenten begeistert, während das Projekt an der TUB noch lief, wechselte Jüttemann zur Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) in Neuruppin. Der Dozent interessiert sich für den Menschen in seinem urbanen und technischen Umfeld. „Ursprünglich habe ich Psychologie und Urbanistik studiert", erzählt er. „An der TUB habe ich Wissenschafts- und Technikgeschichte unterrichtet. Als ich im Laufe des Semesters an die MHB gewechselt bin, um mich dort der Medizingeschichte Brandenburgs zu widmen, habe ich die MHB-Studierenden ebenfalls für das Projekt zum Kernkraftwerk Rheinsberg begeistern können." So entstand das interdisziplinäre Team. Die MHB-Studierenden konnten zum Beispiel die Auswirkung der Strahlung auf den menschlichen Körper unter-suchen, nach Auffälligkeiten im Krebsregister forschen oder den Strahlenschutz im KKW Rheinsberg beleuchten. „Wichtig war uns, das Buch allgemein verständlich und nicht zu wissenschaftlich zu halten", sagt Jüttemann. Versuchskraftwerk der DDR Für das Haus der Stadtgeschichte in Rheinsberg sind zwei Plakate entstanden, die die verschiedenen Aspekte aufgreifen, die sich die Studierenden zusammen mit Zeitzeugen und Wissenschaftlern erarbeiteten - darunter die Technikgeschichte der Kernenergie, die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung, Umwelt- und Strahlenschäden, die Problematik des Rückbaus und aktuelle Alternativen zur Stromerzeugung. Auch die Frage, ob Kernkraftwerke denkmalgeschützte Orte oder touristische Sehenswürdigkeiten sein sollten, wird erörtert. „Rheinsberg war ein Versuchskraftwerk der DDR", weiß Jüttemann. „Es war gemacht, um Leute auszubilden und die Technik zu erproben." Das 1966 in Betrieb genommene Kraftwerk hatte mit 70 Megawatt nur eine sehr kleine Leistung. „Potsdam konnte damit versorgt werden, mehr aber auch nicht", erklärt der Experte. „Die DDR und die Bundesrepublik hatten bis 1955 einen Sperrvertrag für Kernenergie. Daher ging das darum, Erfahrungen mit der Technik zu sammeln." Mitten im Naturschutzgebiet Dafür wählte man eine entlegene Gegend, ein Stück weit von Rheinsberg entfernt, am Stechlinsee. Im direkten Umfeld gab es keinen Ort, sodass niemand umgesiedelt werden musste. „Das Gebiet lag mitten im Naturschutzgebiet - das ist heute kaum denkbar", berichtet Jüttemann. „Das KKW Rheinsberg hat mehr Strom und Geld gekostet als es je produziert hat. Aber man hatte den Westen um ein paar Monate überholt und war 1966 etwas schneller am Start." Das war entscheidend, denn die Sowjetunion sei ihren Liefer- und Beratungsverpflichtungen nicht nachgekommen. Schaltwarte auf Geldschein Ursprünglich war die Betriebszeit des KKW Rheinsberg bis 1992 verlängert worden. „Während einer Revisionsphase entschied man sich jedoch dafür, Rheinsberg zu einem Zeitpunkt abzuschalten, der zufällig in etwa mit der Wende zusammenfiel", erklärt Jüttemann. Die EWN Rückbaugesellschaft ermöglicht heute Führungen durch das KKW Rheinsberg, die gemeinsam mit Zeitzeugen durch-geführt werden. „Dabei kann man auch in die Schaltwarte gehen", erzählt Jüttemann. „Sie ist zur Berühmtheit gelangt, weil auf dem Zehn-Mark-Schein der DDR eine junge Frau abgebildet war, die genau in dieser Rheinsberger Schaltwarte saß." Die Zukunft des KKW Rheinsberg ist noch nicht vollkommen geklärt. „Eigentlich bestand die Forderung, alles komplett bis zur grünen Wiese zurück zu bauen", meint Jüttemann. „Aber es wäre auch wünschenswert, die historische Schaltwarte zu erhalten, die aus verschiedenen Gründen nicht vor Ort bleiben darf. Sie könnte ans Technikmuseum in Berlin überführt werden." Das Buch „Kernkraftwerk Rheinsberg. Geschichte und Zukunft einer Technik" ist für zehn Euro in allen Buchhandlungen oder im Haus der Stadtgeschichte Rheinsberg erhältlich. Bild oben:Die Schaltwarte des Kernkraftwerks in Rheinsberg ist durch ihre Abbildung auf dem Zehn Mark Schein der DDR bekannt geworden. Bild unten: Mit dem Bau des Kernkraftwerks in Rheinsberg wurde 1960 begonnen. Abb. links: Das KKW hat mehr Strom und Geld gekostet als es je produziert hat. Dr. Andreas Jüttemann Mitherausgeber des Buches