Junge Generation blickt in einem neuen Buch auf die Auswirkungen der Atomindustrie, das Kernkraftwerk Rheinsberg steht dabei im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen
Celina Aniol
(aus: Märkische Allgemeine; 10.07.2021)
Rheinsberg. Der Atomausstieg gilt in Deutschland als beschlossen. „Ist Kernenergie dadurch aber alter Quark? ", fragt Jörg Möller. „Das glaube ich nicht, wir werden uns damit noch Jahrzehnte beschäftigen." Möller weiß, wovon er spricht. Denn der Rheinsberger hat bis vor Kurzem im Kernkraftwerk (KKW) seiner Stadt gearbeitet. Dieses ist zwar längst abgeschaltet. Bis es aber abgebaut ist, wird es noch lange dauern. Und er ist der Chef des Stadtgeschichtevereins, der sich darum bemüht, das KKW-Zeitalter in Rheinsberg zu dokumentieren. Frei von Vorurteilen ist die Debatte zum Thema Kernkraft aber keineswegs, sagt Möller. Denn die heute 20-Jährigen -diejenigen also, die bald die Entscheiderpositioneneinnehmen werden- seien in einem Klima aufgewachsen, das den Ausstieg als den einzig richtigen Weg vorzeichnet. „Ich kann nicht das Schwarze weiß machen, aber ich kann mir das Für und Wider genauer anschauen, statt alles nur zu verteufeln", sagt er. Genau diesen Aufklärungsversuch hat sein Verein gestartet. In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin und der Medizinischen Hochschule Brandenburg in Neuruppin entstand ein Buch, in dem sich vor allem die junge Generation mit dem Thema kritisch auseinandersetzt. In „Kernkraftwerk Rheinsberg. Geschichte und Zukunft einer Technik " das vom Berliner Verein „Orte der Geschichte" herausgegeben wurde, geht es um die Anti- Atomkraftwerk-Bewegung, um Probleme beim Rückbau des KKWs, um alternative Energieerzeugung in der Region, um Denkmalschutz am Rheinsberger Standort, aber auch um mögliche Umwelt- und Strahlenschäden. Die jungen Autoren werfen zudem einen Blick auf die Reaktorkatastrophen in Fukushima und Tschernobyl sowie auf die öffentliche Meinung zur Kernenergie. Daneben haben sie eine virtuelle Ausstellung erarbeitet, die sich mit den Rheinsberger Werk beschäftigt. Die Hochschulrektorenkonferenz haben diese gefördert. Die Studenten haben angeleitet von Andreas Jüttemann, der an bei den Forschungsstandorten arbeitete zum Beispiel untersucht, wie sich die Krebsrate im Umfeld des KKW Rheinsberg entwickelt haben. „und sie haben überhaupt keine Ausreißer nach oben feststelle können", berichtet Möller, der auch einen Beitrag für das Buch verfass hat. Darin geht es um die Frage, wie das Rheinsberger Haus der Stadtgeschichte die KKW-Geschichte in Rheinsberg verarbeiten soll. Trotz dieser Voreingenommenheit wagt der Vereinschef ein klares Votum für das Buch. „Die jungen Leute stellen unvoreingenommene Fragen zu dem Thema und beleuchten sie kritisch", sagt Möller. „Es unterscheidet sich stark von den hunderten Büchern, die es schon gibt, die aber meistens ganz klar eine Linie verfolgen. " In dem neuen Werk hingegen werden Bedenken geäußert und überprüft und Fakten auf den Tisch gelegt - ohne, dass am Ende ein Fazit gezogen wird. Möller freut sich über die Veröffentlichung - sie hat ihn aber auch ein bisschen in die Bredouille gebracht. Denn ursprünglich sollten die Studenten eine der vier Themensäulen entwickeln, die künftig im Rheinsberger Haus der Stadtgeschichte als Dauerausstellung zu sehen sein werden: die Kernkrafttechnik. Wegen Corona ging das aber nicht: Der Besuch der Ausstellungs-räume war für die Berliner Studenten in der Pandemiezeit kaum möglich. Um die Zusammenarbeit nicht völlig gegen die Wand fahren zu lassen, haben die Studenten Beiträge für das Buch geschrieben. Nun muss das Museum erneut nach jemandem suchen, der den KKW-Part der Dauerausstellung gestaltet. In den Vereinsräumen soll es vor allem um die Auswirkungen der KKW-Ansiedlung auf die frühere Ackerbürgerstadt gehen. Dabei aber nicht um eine rein historische Betrachtung, sondern vielmehr auch ums Scannen der Stadtpsyche bis zum heutigen Tag. Klar habe das Werk früher eine größere Strahlkraft gehabt als jetzt. Schließlich haben dort 1989 rund 580 Menschen der 5500-Einwohner-Stadt gearbeitet und heute sind beim Abbau des Standorts nicht ein-mal 150 Mitarbeiter beschäftigt. „Die Rest-Ressentiments sind deutlich geringer- aber es gibt sie noch. " Um die technische Seite soll es dabei in Rheinsberg weniger gehen. Diesen Part will das Deutsche Technikmuseum Berlin übernehmen. Dorthin soll auch die Blockwarte gebracht werden, die den Zehn-Mark-Schein in der DDR zierte. Ob und wann das aber passiert, das sei nach wie vor offen. Denn das Museum in der Hauptstadt arbeite noch an seinen Erweiterungs-plänen, genauso wie die Rheinsberger an ihrem Konzept. Beide Projekte haben gemeinsam, dass es wohl noch Jahre dauern wird, bis sie die Geschichte des ältesten kommerziell genutzten DDR-Atomkraftwerks ins rechte Licht rücken. Info Das Buch ist für 10 Euro im Haus des Vereins Stadtgeschichte Rheinsberg in der Seestraße 22 werktags von 8 bis 14 Uhr erhältlich. Die virtuelle Ausstellung ist zu sehen unter: www.nuclear-landscapes.de. Bild oben Andreas Jüttemann und Jörg Möller(r) präsentieren das neue Buch. Es beschäftigt sich vor allem mit dem Kernkraftwerk Rheinsberg-aber nicht nur. Foto Mundt Bild unten Die Blockwarte des ehemaligen Kernkraftwerkes soll nach Berlin ins deutsche Technikmuseum gebracht werden. Foto Christian Schmettow Anmerkung: Ich kann nicht das Schwarze weiß machen, aber ich kann mir das Für und Wider genauer anschauen, statt alles nur verteufeln. Jörg Möller Chef des Vereins Stadtgeschichte Rheinsberg und ehemaliger KKW-Mitarbeiter