Die Ausstellung „Dreimal Uran“ schreibt selbst Geschichte
Jürgen Rammelt
(aus: Ruppiner Anzeiger; 15.09.2018)
Manchmal passieren Dinge, mit denen keiner gerechnet hat. So erging es zwei Frauen, die vor wenigen Tagen in der Region weilten, um in Kagar Verwandte zu besuchen. Der Weg führte Irene Fiedler und ihre Tochter Petra auch zu einer Stippvisite nach Rheinsberg, wo sie in der Seestraße ihr Auto parkten. Als sie nach dem Aufenthalt gerade wieder losfahren wollten, fiel der Blick auf das Schaufenster des Hauses der Stadtgeschichte, in dem auf die aktuelle Ausstellung „Dreimal Uran“ hingewiesen wurde. „Schau mal Mutti, hier steht etwas zu Uran“, sagte Petra Fiedler zu ihrer Mutter. „Hör mir auf mit diesem Thema“, tönte es zurück. Doch dann wurden beide neugierig. Und als sogar die Tür offen war, begaben sie sich die Frauen in den Ausstellungsraum, um sich näher umzusehen. Mit Peter Francke trafen sie auch ein Vereinsmitglied, der die beiden Frauen begrüßte und sie einlud, die Ausstellung und das Haus zu besichtigen. Was dann geschah, ist schwer zu beschreiben. Vor allem die Vitrine, in der über die Atom-Experimente der Oranienburger Auer-Gesellschaft in Dorf Zechlin und Rheinsberg berichtet wird, fand das besondere Interesse der Frauen. Denn kein Geringerer als Dr. Nikolaus Riehl, der Leiter der Forschungsgruppe, war der Vater von Irene Fiedler und Großvater von Petra Fiedler. „Ich hätte niemals gedacht, in Rheinsberg in einer Ausstellung auf die Spuren meines Vaters zu stoßen“, berichtete Irene Fiedler vor wenigen Tagen am Telefon. Über die Rheinsberger Zeit ihres Vaters weiß sie allerdings sehr wenig, da sie erst 1948 in Moskau zur Welt kam. Umso größer war die Überraschung und Freude, in der Ausstellung des Geschichtsvereins, an ihren Vater erinnert zu werden. Die Ausstellung fanden die beiden Frauen sehr interessant. Immerhin wird dort über die dreifache Verwendung des strahlenden Metalls berichtet. Während Uran als Brennstoff zur Energieerzeugung, wie im Kernkraftwerk Rheinsberg geschehen, und die Verwendung als Farbstoff in der Keramik- und Glasindustrie in den 1920er- und 1930er- Jahren mehr oder weniger bekannt ist, wissen die Wenigsten, das von 1943 bis 1945 mit seltenen Erden ganz in der Nähe experimentiert wurde, um waffentaugliches Uran herzustellen. Ausgangpunkt waren die in Oranienburg ansässigen Auerwerke, die dafür ihren Forschungsbereich in geheimer Mission ausgelagert hatten. Als Orte waren Dorf Zechlin, Kagar und Rheinsberg ausgewählt worden. Leiter dieser streng geheimen Abteilung war der 1901 in Sankt Petersburg geborene Physiker Dr. Nikolaus Riehl, der Vater von Irene Fiedler. Riehl hatte in Moskau und Berlin Physik und Nuklearchemie studiert und sprach fließend Russisch und Deutsch. Seine damalige Aufgabe war es, spaltbares Material für eine Atombombe herzustellen. Dazu hatten die Nazis in der stillgelegten Wassermühle von Willi Krüger in Dorf Zechlin eine „kleine Uranfabrik“ eingerichtet. Auch in Kagar und im Gärkeller der Rheinsberger Brauerei befanden sich Lagerräume und Laboreinrichtungen, in denen Uranmetall gelagert und Uranmetall gewonnen wurde. Nach dem Einmarsch der russischen Truppen wurde Nikolaus Riehl festgenommen, verhört und in die Sowjetunion deportiert, wo er mit anderen deutschen Wissenschaftlern verpflichtet wurde, für die sowjetische Atomforschung zu arbeiten. Während dieser Zeit wurde auch Irene Fiedler geboren, die 1955 mit ihrem Vater und der restlichen Familie nach Deutschland zurückkehren durfte. Nikolaus Riehl war ein anerkannter Atomforscher. Wertgeschätzt und ausgezeichnet mit dem Stalinpreis, dem Leninorden und als Held der sozialistischen Arbeit siedelte er 1955 in die DDR und kurz darauf in die Bundesrepublik über, wo er mit seiner Familie in München ansässig wurde. Er selbst arbeitete an der Technischen Universität München weiter auf dem Gebiet der Atomforschung und war maßgeblich am Aufbau des Forschungsreaktors Garching beteiligt. Wie Irene und Petra Fiedler berichteten, hat sie der Besuch in Rheinsberg und die Ausstellung sehr beeindruckt. Noch erstaunlicher ist, dass sie der Zufall in eine Zeit führte, die sie selbst nicht erlebt hatten, die aber eng mit der Familiengeschichte verbunden ist. Auch, dass jemand aus dem Verein Stadtgeschichte da war, der Auskunft geben konnte, gehörte zu dem besonderen Erlebnis dieses Tages.