Rheinsberg hat eine lange Rallyetradition: Rennfahrer erzählen aus ihren Erinnerungen
Frauke Herweg
(aus: Märkische Allgemeine; 14.06.2018)
Nachts Sandstürme. Tagsüber brüllende Hitze. 2007 fährt Timo Gottschalk das erste Mal bei der Rallye Dakar mit. 14 Stunden - hockt er in der engen Fahrerkabine. „Mit Helm und in voller Montur." Trotz der Strapazen hat der heute 43-Jährige vor allem glückliche Er-
Hinter Linow im Putenmist hat es angefangen.
Timo Gottschalk Rallyenavigator
innerungen an das Rennen. „Das war ein richtiges Abenteuer." Vier Jahre später gewinnt der Rheinsberger gemeinsam mit Nasser Al-Attiyah die Dakar in Chile und Argentinien. Für den Diplom-ingenieur für Fahrzeugtechnik. auch nach mehr als 20 Jahren Rallyeerfahrung „ein ganz besonderer Moment" . Beim Verein Stadtgeschichte Rheinsberg erzählte Gottschalk am Dienstagabend sichtlich bewegt von seinem ersten Sieg der Dakar. Rallyesport hat in Rheinsberg eine lange Tradition. Schon in den 60er Jahren treten Motorsportler bei Wettrennen an. 1971 veranstaltet der MC KKW Rheinsberg seine erste Atomrallye - Wartburgs und Trabbis starten am Klub der Gewerkschaft und rasen die Lange Straße hinunter. Bei Rennen wie diesen „ stand gefühlt die halbe Stadt an der Straße" , erinnert sich Jürgen Pfeifer. Auch er ist damals begeistert vom Motorsport. Er hat, wie er selber sagt, „immer schon Benzin im Blut" . Wer Rennen fährt, muss vor allem leidenschaftlicher Schrauber sein. Ersatzteile waren Mangelware. Die Fahrer mussten improvisieren - und gute Kontakte haben. „Kollegen haben umfangreiche Schweißarbeiten übernommen" , sagt Pfeifer. „Im Gegenzug haben wir beim Eigenheim geholfen." Die benötigte Sprechanlage für den Rennhelm bastelte er sich damals selbst - mit ausgebauter Telefontechnik. Pfeifer und seine Rennkollegen starten mit ganz normalen Familienautos. „Das war schon eine Herausforderung" , sagt er. Als er einmal beim Kyffhäuser eine kurvige Straße herunterbrettert, kommen die Bremsen an ihre Grenzen. „Aus allen vier Radkästen kam der totale Qualm." Nach dem Timo Gottschalk als Jugendlicher einem dieser Rennen zugesehen hat, ist auch seine Leidenschaft für Motoren entfacht. Erste Rennerfahrungen macht er gemeinsam mit seinem Kumpel Jan Gantikow - „ irgendwo hinter Linow im Putenmist". Gemeinsam wagen die beiden sich damals mit einem Motorradgespann in schwieriges Gelände. Nach drei Runden hatte Gottschalk, der damals Beifahrer ist, lahme Arme. Er kann sich kaum noch halten, fliegt aus dem Beiwagen und bricht sich ein Handgelenk. Seine Begeisterung für den Rallyesport schmälert das nicht. Gottschalk ist immer Beifahrer und Navigator geblieben. „Mir gefällt das Administrative", sagt er. „Ich wollte nie selber fahren." Als Navigator muss Gottschalk den Fahrer durch unwegsames Gelände dirigieren und die entscheidenden Abzweigungen erkennen. Mitunter muss er dabei auch mit schwierigen Charakteren klarkommen. Carlos Sainz etwa, mit dem er 2013 und 2014 startete, ist „nicht gerade der einfachste Mensch", sagt Gottschalk. „Aber gerade deshalb machst du es. " Inzwischen ist Gottschalk in fast jedem Land der Erde Rennen gefahren. Sich an besondere Rennen, an besondere Momente zu erinnern, sei schwierig, sagt er. „Der Speicher ist voll" , sagt er. „Man vergisst viel. " Premieren wie der erste Sieg der Dakar oder ungewöhnliche Pannen je-. doch bleiben in der Erinnerung haften. Bei einem großen Rennen durch die Dünen von Peru in diesem Jahr mussten Gottschalk und sein Teamkollege gleich zwei Unfälle überstehen. Als ein Fahrer vor ihnen wendet und in der eigenen Spur zurückfährt, rasen sie mit ihrem Wagen auf der Spitze einer Düne in das Konkurrenzauto. Ein paar Tage später fahren sie am Strand lang und eine Welle zieht sie ins Meer. Vor drei Wochen endet jedoch die Pechsträhne von Yazeed Al Rajhi und Timo Gottschalk. Sie gewinnen eine Rallye quer durch Kasachstan. Als sie durchs Ziel fahren, ist einer der Reifen völlig zerfetzt - von dem Rad ist nur die Felge übrig geblieben. „Drei Kilometer vor dem Ziel", sagt Gottschalk, „wechselst du nicht mehr den Reifen. "