Über 500 Nachtschwärmer wandelten in Rheinsberg auf den Pfaden von Musik, Literatur, Malerei und Architektur
Juliane Felsch
(aus: Märkische Allgemeine; 08.11.2010)
Kunstgenuss von Mittag bis Mitternacht – das bot die 14. Lange Nacht der Künste. Musiker, Autoren, Historiker und bildende Künstler hatten gemeinsam zum Kulturfest eingeladen.
RHEINSBERG. Sie beginnt, wenn es noch Tag ist und endet, wenn in den meisten Rheinsberger Wohnungen längst die Lichter erloschen sind. Die Lange Nacht der Künste ist eigentlich ein halber Tag Kultur, der mit der hellen Mittagszeit anbricht. Aber Nacht – das klingt verlockender, vielversprechender, nach einem Leuchten in den Augen. Und das haben fast alle, die den ersten Novembersonnabend in der Stadt verbringen – neben dem obligatorischen blauen Programmzettel und einem dicken Stift.Zum 14. Mal hat Rheinsberg, allen voran der Kunst- und Kulturverein, die Lange Nacht der Künste inszeniert. 525 Kulturschwärmer werden bis Mitternacht unterm Sternenhimmel durch die Straßen ziehen. Und wer die Ohren spitzt, ertappt sie: beim rastlosen Planen, beim geschäftigen Abstimmen mit der Freundin, beim Eintragen wilder Kringel auf dem Laufzettel. 31 Veranstaltungen an zwölf Orten kündigt es an: Konzerte, Führungen, Lesungen, Werkstattbesuche. Einen Großteil dessen stemmen Einheimische – von den Orchestern der Musikschule bis zum Schlossmitarbeiter.„Zaubern" heißt das Motto im Jahr 2010. Der französische Künstler und Wahlrheinsberger Tony Torrilhon hat dafür in seinem Atelier und Garten in der Schlossstraße Holzskulpturen unter weißen Leinentüchern versteckt. Zur ersten Runde drängeln sich bald 20 Besucher um die Druckerpresse in der kleinen Werkstatt, die höchstens Platz für eine Handvoll hat. „Hocus pocus – oder wie heißt das?", fragt Torrilhon. „Der schwarze Künstler zaubert", hat das Programm angekündigt. So ist er angezogen – samt Hut – und schwingt nun einen imposanten Schraubenschlüssel, der ihm als Zauberstab dient. Nach und nach kommen Nixen und langschnäbelige Vögel zum Vorschein. Der eine schaukelt, der andere ist blind und das dritte Tierchen trägt Stiefel und watet durch flache Gewässer. „Da habe ich geschummelt", gesteht Torrilhon, der die Vögel aus Neuglobsower Baumstämmen geschaffen hat. „Die Füße sind sehr schwer, aber im Wasser brauchte ich keine Füße." Seine Nixen im Garten kommen schließlich ganz ohne aus. Lustig, lustvoll räkeln sie sich dort – die jüngste von ihnen mit einem spitzen Busen. „Schön, oder?"Im Atelier Torrilhon vergessen Kulturpilger leicht, dass sie noch mehr Stationen auf dem Programm haben. Die Kirche zum Beispiel, wo das Streichorchester der Kreismusikschule großartig sinfonisch musiziert. Verstärkt von mehreren Holzbläsern, geleitet von Lothar Dumann.Auf halber Strecke hat der Verein Stadtgeschichte den Besucher Hartmut Richter zur Kalendervorstellung weggefangen. „Herr Richter, wir haben noch zwei Plätze", rief man aus dem Buchladen. Da wollte der Rheinsberger gerade den Satz zu Ende sprechen, dass er die Abwechslung dieses Tages so schätze.Mit Glühwein und Bratwurst – dem klassischen Lange-Nacht-Menü – geht man in den Abend. Gastronomen haben Freiluft-Stände aufgebaut das Schlosstheater erstrahlt in Blau, Grün, Gelb. Und die Besucher sind jetzt mittendrin im Abarbeiten ihrer Pläne: Im Schlosshotel feiern sie Wiedersehen mit dem ehemaligen Stadtschreiber Wiglaf Droste, der in seinem neuen Buch „Auf sie mit Idyll. Rheinsberg und andere Musenwunder" ironisch-bissig mit der Spezies Gerüstbauer abrechnet. Historiker und Restauratoren sind in beinahe allen Schlossflügeln und -geschossen mit den Besuchern unterwegs. Auch die Remise, künftige Touristinformation, steht erstmals auf dem Plan der Führungen. Wer fehlt noch? Bach. Ein Spezialkurs der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler gibt seine Lutherische Messe in g-Moll mit Leidenschaft und viel Bewegung. Das letzte Wort hat der Meister in dieser Nacht aber nicht. Es sind wie immer die Kammeroper und die Musikschul-Bigband, die das Gute-Nacht-Lied spielen.