Der Verein Stadtgeschichte Rheinsberg hat seine riesige historische Sammlung in einer öffentlichen Datenbank zusammengetragen
Regine Buddeke
(aus: Märkische Allgemeine; 16.09.2016)
Rheinsberg. Irgendwann kannten sich fast alle über Ebay. „Wir haben oft auf die gleichen Angebote gesteigert", erinnert sich Jörg Möller, der dem Verein Stadtgeschichte Rheinsberg vorsteht. Dann traf man sich zum Fachsimpeln. 2004 beschlossen sieben Gleichgesinnte, einen Verein zu gründen mit dem Hauptziel, die Stadtgeschichte zu erforschen und das Ganze öffentlich zu machen. Wir haben zuerst geschaut, ob wir unter dem «Dach des Heimatvereins oder des Kultur Vereins agieren können. Haben dann aber Mut gefasst, einen eigenen Verein zu gründen. " Auch wenn man natürlich die Geschichte Rheinsbergs nicht vom Schloss losgelöst betrachten könne, erklärt es Möller, habe sich der Verein auf die „bürgerliche Stadt" konzentriert. Alle Geschichtsforschung rund um Schloss und Schlosspark werde ja bis ins Detail von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten übernommen. „Aber das ist eben nicht alles", so Möller. Man komme sich da auch gar nicht in die Quere. „Es ist ein gutes Miteinander mit der Stiftung.“73 Mitglieder hat der Verein inzwischen. „Für eine Kleinstadt beträchtlich" , freut sich Möller. Es war zu Anfang ein Treffpunkt für Leute die Historik Rheinsbergs sammeln. Über die Carmol-Fabrik, das Kernkraftwerk, die Keramikmanufakturen. Aber auch von einzelnen Häusern und Straßen, Dokumente, Fotos, Scherben. Hunderttausende Kleinigkeiten die sich summieren. Für uns wurde es irgendwann wichtig, einen gemeinsamen Nenner zu finden. als Verein mit erklärtem Ziel sei es leichter, historische dinge von Privatleuten zu kaufen-ohne als Sammler in den Ruf zu geraten, billig Schnäppchen zu ergaunern zu wollen. Daher war es für die Vereinsmitglieder von vornherein klar: Die Ergebnisse der Recherchen sollen öffentlich zugänglich gemacht werden. „Darin unterscheiden wir uns von den meisten historischen Vereinen - durch unsere Datenbank ”, 'sagt Jörg Möller stolz. Und es kann sich in der Tat sehen lassen, was die Mitglieder im Schweiße ihres Angesichts auf die Beine gestellt haben. Derzeit befinden sich 13462 Datensätze, davon 11219 frei zugänglich, sowie 93164 zugehörige Abbildungen, von denen 60 270 freigegeben sind, in dieser Datenbank. Mit einem Gastzugang kann man ausgiebig stöbern. Die Suche ist mehr als komfortabel: Man kann nach Ansichtskarten, Büchern, Texten, Fotos, Schriftstücken oder Zeitungen forschen - mit Filtern wie Entstehungszeit, Autor, Verlag, Erscheinungsdatum und nach etlichen anderen Kriterien. Oder auch nach Themen wie Persönlichkeiten, Handel, Gewerbe, Medizin, Gebäude, Straßen, Kultur, Kunst und vieles mehr. Dazu gibt es auch noch eine Bildersuche. „Wir sind vermutlich bundesweit die Einzigen, die so etwas haben. Darauf sind wir sehr stolz ” ,sagt Möller, der sich noch zu gut an eines der Projekte erinnert: die kompletten Ausgaben der ehemals herausgegebenen Rheinsberger Zeitung, die von 1925 bis 1942 erschien. „ 18 000 Seiten, die wir alle digitalisiert haben. “ Und die jetzt nach und nach in computerlesbaren Text umgewandelt werden. In der Regel seien für die Dateneingabe ABM-Kräfte im Einsatz. „Über all die Jahre haben bestimmt mehr als 30 an dem Projekt gearbeitet“, sagt der Vereinschef. Wann immer ein Vereinsmitglied etwas kaufe oder ersteigere, recherchiert oder publiziert: „Es landet alles in der Datenbank. ” Das ist jedoch noch längst nicht alles. Seit 2015 gibt es jeden zweiten Dienstag im Monat einen Vortrag zu einem speziellen Thema der Rheinsberger Stadtgeschichte. Am Dienstag etwa platzte der historische U-Bahn-Wagen auf Rheinsbergs Bahnhof nahezu aus allen Nähten: Das Thema hieß„ Husch, husch, die Eisenbahn" . Bis zu 70 Neugierige besuchen die Vortragsreihe: ob Remusinsel, Fußballgeschichte, Kernkraftwerk - das Interesse ist immer groß. Auch der alljährliche Kalender findet viele Abnehmer. 2016 ging es um Rheinsberger Vereine, auch der für 2017, der zehnte insgesamt, ist schon fast fertig. „Wir stellen beim Töfermarkt vor - es geht dabei um verlorene Orte, Plätze, die es in Rheinsberg nicht mehr gibt.“ Um die Vereinsarbeit auf feste Füße zu stellen, haben die Mitglieder 2012 unter dem Dach der Sparkasse Ostprignitz-Ruppin eine Stiftung gegründet. „Wir haben das Anfangskapital von 10 000 Euro zusammengebracht und es seitdem um ein Vielfaches erweitert", ist Möller einmal mehr stolz auf seinen Verein. Mit den drei Prozent Ausschüttung, die die Sparkasse garantiert, werde ein klares Ziel verfolgt. „Wir wollen ein Haus der Stadtgeschichte etablieren", so Möller, der schon auf Gebäudesuche ist. Darin sollen die wesentlichen Säulen der Rheinsberger Geschichte abgebildet werden. Die Keramik, Carmol, das Kernkraftwerk. Derzeit laufe gerade eine Machbarkeitsstudie, ob man die Original-Blockwarte des KKW aus- und im geplanten Museum wieder einbauen kann. „Wir wollen die Kernkraft-Euphorie der 60er Jahre darstellen und deren langsamen Wandel. Die hochgelobte Ingenieurkunst.” Oder die Carmol-Fabrik: „1902 erfunden. Heutige Pharmakonzerne haben Milliarden-Budgets, um ein Medikament zu erfinden, das wie damals Carmol gegen nahezu alles hilft." So ganz nebenher schafft es der Verein auch, sich um die Historie des Städtischen Friedhofs zu kümmern und in Rheinsberg einen Stummen Stadtrundgang zu erschaffen. An 20 historischen Häusern prangen Informationstafeln mit Text und Bild. Auch einen Flyer gibt es dazu. Wie Möller selbst zum Sammeln kam? „Ich war schon als Kind Sammler: Streichholzschachteln, Münzen. Meine Mutter war mitunter genervt", sagt er und schmunzelt. Heute ist es seine Frau. „Sie sagt immer, wir können unseren eigenen Töpfermarkt aufmachen." Aber für einen „Fast-Rheinsberger“ sei es normal, auch Keramik zu sammeln. „Als ich vier war, bin ich von meinen Eltern hierher gezogen worden. Ich hatte kein Mitspracherecht sagt der 59-Jährige, der sich mit Rheinsberg seitdem mehr als nur identifiziert. Sein Engagement im Verein spricht da eine deutliche Sprache.