Über die sozialistische Verkaufskultur der DDR in Rheinsberg sprachen 70 Bürger der Stadt
Christina Koormann
(aus: Märkische Allgemeine; 12.05.2016)
Rheinsberg „Bananen kriegt die nicht, ihr Mann hat vorhin schon welche geholt“, verkündete eine Verkäuferin in der Kaufhalle vor vielen Jahren lautstark, als eine Rheinsbergerin das Geschäft betrat. „Ich war auf dem Weg von der Arbeit nach Hause und eine Bekannte erzählte, dass es an diesem Tag welche gab, also bin ich direkt vorbeigegangen“, erinnert sie sich. „Dass mein Mann schon welche besorgt hatte, wusste ich gar nicht - aber da wurde ganz genau aufgepasst.“
An ein rares Angebot von Südfrüchten, Citronat- und Orangat-Ersatz aus grünen Tomaten und Mohrrüben, Kittelschürzen, Plastiknetze und den Satz „Ham’ wa nich“ als Standardantwort der Verkäuferinnen zu DDR-Zeiten erinnerten sich gemeinsam am Dienstag Abend 70 Rheinsberger. Der Verein Stadtgeschichte Rheinsberg hatte zu seiner Vortragsreihe in die Remise am Schloss eingeladen. Zum Thema „Von Bückware bis Mückebier – Sozialistische Verkaufskultur in Rheinsberg“ tauschten die Besucher viele Erinnerungen, Fotos und Anekdoten aus vergangenen Zeiten aus. „Wenn ich als kleiner Junge zum Einkaufen geschickt wurde, sagte meine Mutter jedes Mal: Vergiss die Lebensmittelmarken nicht“, erzählte Hans-Norbert Gast, Vorstandsmitglied des Vereins, der mit Jörg Möller und Eckard Bartel durch den Abend führte.
Einmal sei er für den bevorstehenden Besuch der Westverwandtschaft zur Fleischerei geschickt worden, um acht Stücke Rindfleisch zu besorgen. Die Verkäuferin reagierte mit besagter Standardantwort, auch auf die Nachfrage nach Schweinefleisch oder Rouladen: „Ham’ wa nich!“. „Was ham ’se denn?“, fragte Gast. „Bis 18 Uhr geöffnet!“, war die flapsige Antwort.
Die Planwirtschaft sorgte für lange Warteschlangen und wenig Auswahl. Tauschgeschäfte unter der Hand und gehortete Überraschungen unter dem Ladentisch – die sogenannte Bückware – halfen hin und wieder über Engpässe hinweg. Neben kleinen Konsum- und HO-Verkaufsstellen und „Tante-Emma-Läden“ waren die Rheinsberger Kioske lange Anlaufstellen für Bürger, die Zeitungen, Blumen und Lebensmittel kaufen wollten. Auch einen kleinen Imbiss konnte man hier bekommen.
Der Postkiosk am heutigen Triangelplatz, damals August-Bebel-Platz, rief viele Erinnerungen wach: „Da gab’s immer Bockwurst, wir haben uns nach der Schule hinter den Kiosk gesetzt, gegessen und Musik gehört, da war die Welt in Ordnung“, sagte ein Besucher. Die Bestseller am Zeitungskiosk waren die Frauenzeitschrift „Sibylle“ und „Das Magazin“. Zwei originale Exemplare von 1954 wurden während des Vortrags gezeigt. „Darin ist sogar ein Aktfoto, das war zu der Zeit eine völlige Seltenheit.“
Waltraud Riebke hat 32 Jahre lang im Zeitungskiosk gearbeitet. Sie denkt gerne daran zurück, auch wenn es neben Höhen viele Tiefen gab. „Die Zeitungen wurden immer erst um zehn Uhr geliefert, deshalb sind wir oft früh zur Post gefahren und haben sie selbst abgeholt“, sagt sie. „Unsere Ware haben wir Wochen im Voraus bestellt, aber manchmal war das Kontingent sehr knapp.“ Zum Glück saß ihre Schwester bei der Post in Hennigsdorf – so konnte sie Magazine, die dort liegenblieben, nach Rheinsberg weitergeben. „Dann waren die Zeitschriften zwar manchmal schon zwei Wochen alt, aber die Kunden konnten sie wenigstens noch lesen.“
Oft wird Waltraud Riebke von jüngeren Menschen auf der Straße gegrüßt, die sie nicht erkennt, aber sie vermutet: „Das könnten meine Bummi- und Atze-Kinder sein.“ Am Blumenkiosk am heutigen Kirchplatz (früher Karl-Liebknecht-Platz) war die Auswahl überschaubar: „Wenn man dort mal Alpenveilchen oder Freesien bekommen hat, war das schon etwas Großartiges!“
Eine modernere Verkaufskultur konnten die Rheinsberger erstmals am 2. Januar 1969 erleben, als die Handelsorganisation (HO) in der Schlossstraße eine Kaufhalle für Lebensmittel eröffnete. Hier gab es ein Selbstbedienungssortiment, eine Kassenzone und einen Tresen für Back-, Fleisch- und Wurstwaren. Die Kaufhalle war ein ganz neues Einkaufserlebnis für die Bürger und neuen Mitarbeiter. Sylvia Bensch begann 1978 in der Kaufhalle ihre Ausbildung zur Fachverkäuferin. „Die Ware war auf Paletten gestapelt, wir mussten alles tragen – das konnten auch schon mal 25-Kilo-Butterkartons sein“, sagt sie. Montagsmorgens nach der Warenlieferung gab es großen Andrang. Trotzdem waren die Produkte oft knapp. „Wenn die Milch ausverkauft war, holten wir welche von der Molkerei“, sagt Bensch. Ein weiterer Besucher erinnert sich, dass er in der Kaufhalle aus Spaß das Schild des „gekörnten Spee“-Waschmittels gegen das Schild des identisch verpackten „Ata“-Scheuermittels austauschte.
1983 wurde noch eine Getränkeabteilung angebaut. „Das Wasser in den Seltersflaschen sah immer rosa aus, weil vorher Brause drin war.“ 1991 übernahm der Discounter Spar die Kaufhalle, 1993 die Familie Brehme. Fünf Jahre später zog sie mit ihrer Edeka-Filiale in die Paulshorster Straße. Die alte Kaufhalle wurde abgerissen. Damit gehört sie zu einem der „verlorenen Orte“, an die der Verein Stadtgeschichte erinnern möchte. „Es hat sich viel getan, wir können stolz auf die Entwicklung unserer Stadt sein“, sagte Gast. Doch je weiter man zurückschaue, desto weniger Informationen bekomme man. „Deshalb sind wir dankbar für jedes Dokument aus vergangenen Zeiten.“