Im Rheinsberger Kernkraftwerk werden derzeit die Wände gesäubert und die Reste des Endlagers abgerissen
Carsten Schäfer
(aus: Ruppiner Anzeiger; 01.02.2012)
Das Kernkraftwerk Rheinsberg war das erste wirtschaftlich genutzte Atomkraftwerk in Deutschland. Es entstand ab 1960 auf einer Landenge zwischen dem Nehmitzsee und dem Großen Stechlinsee, mitten in einem Naturschutzgebiet. 1966 wurde es in Betrieb genommen.
Es verfügte über einen sowjetischen Druckwasserreaktor mit einer Leistung von 70 Megawatt.
Im Sommer 1990 wurde das Kraftwerk wegen Sicherheitsbedenken außer Betrieb genommen. 1995begann der Rückbau.
Ursprünglich sollte es bis auf die "Grüne Wiese" abgerissen werden. 2008 hatte die von der Betreiberfirma beauftragte TFH Wildau allerdings vorgeschlagen, das Gelände weiterhin zu nutzen. Nutzer gibt es aber noch nicht.
Beim Rückbau des Rheinsberger Kernkraftwerkes haben die Arbeiten einen der sensibelsten Punkte erreicht: Das Erdreich, das beim Unfall im Erlager Ende der 70er kontaminiert wurde.
Rheinsber:In der unauffälligen Halle herrscht Unterdruck. Wer hinein will, muss durch einen Vorraum, das Tor zum inneren Bereich öffnet sich nur, wenn das äußere zu ist. Die Baustelle darin sieht auf den ersten Blick wenig spektakulär aus.Einige Betonwände,ein ausgehobener Boden,ein Bagger.Und doch:"Dahinten ist die Flüssigkeit damals ausgetreten",sagt Jörg Möller,der Sprecher des Rheinsberger Kernkraftwerks und zeigt vom Tor auf einen Bereich hinten in der Halle.
Die Betonmauern gehörten einmal zum Endlager für radioaktiven Müll auf dem Gelände des Rheinsberger Kernkraftwerks.ALfR heißt es im Fachjargon,"Aktives Lager für feste und flüssige Rückstände". Die Mitarbeiter des Kerkraftwerks und eine Fachfirma sind derzeit dabei, es abzureißen.Dort wo der unterirdische Kanal mündet, der eimal radioaktive Rückstände aus dem Wassersystem des Kraftwerks in die riesigen Betonbehälter des Lagers leitete,passierte am Ende der 70er Jahre ein Unfall.Durch einen Fehler geriet die radioaktive Flüssigkeit in ein Lüftungsrohr und kam in Kontakt mit dem Erdreich.Der Fehler wurde sofort bemerkt und behoben- trotzdem haben die Rückbauarbeiter rund um die Unglücksstelle, unter der Grundplatte des alten Lagers, eine stärkere radioaktive Kontamination gefunden, als sie es vermutet hatten.Erst jetzt können an dieser stelle wirkliche Messungen gemacht werden,denn erst jetzt,nach dem Abriss eines Großteils des Lagers, ist sie überhaupt zugänglich.
Panik muss deswegen aber nicht ausbrechen,sagt Jörg Möller."Die grenzwertüberschreitenden Werte liegen über dem Grundwasserspiegel." Dort, wo das Grundwasser fließt,liege die Belastung unterhalb der Grenzwerte. Und aus der Unterdruck-Halle kommt sowieso keine Kontamination heraus - der Unterdruck sorgt dafür, dass zwar Luft hineinkommt,niemals aber welche raus. Die gleiche Technik wird im Kontrollbereich des Kraftwerks selbst angewandt,das ist jener Teil, in dem einmal die radioaktiven Anlagen standen.
Der Kontrollbereich erstreckt sich in Rheinsberg auch auf das ehemalige Endlager.Was sich darin befindet,darf den Bereich nicht einfach verlasen.Jedes Teil muss auf radioaktive Strahlung geprüft werden,erst,wenn es unbedenkliche Werte hat oder so verpackt ist,das es unbedenklich ist,darf es heraus."Freimessen" nennen die Fachleute das.Und auch Menschen kommen nicht so einfach in diesen Bereich. Wer hinein will,muss durch mehrere Drehgitter die sich nur mit speziellen Magnetkarten öffnen,er muss Werkskleidung anziehn,die im Kontrollbereich bleibt und ein Dosimeter tragen,das die Belastung mist.
Viele radioaktive Geräte bekommt man allerdings auch im Kontrollbereich des Kraftwerks nicht mehr zu sehen. Große Teile des Endlagers sind bereits weg,im Reaktorsaal zeigt nur noch ein tiefes Loch,wo einmal der Reaktor stand.Er wurde bereits vor Jahren abtransportiert. Auch die ehemaligen Abklingbecken sind inzwischen leer. Dort lagerten einmal die Brennstäbe,die aus dem Reaktor entfernt worden waren.Später hatte das Kraftwerk dort die sogenannte Nasszerlegestation aufgebaut.Auch von ihr stehen nur noch einige Stahlträger.In einer Halle am Reaktorgebäude verlädt ein Kran Teile der Anlage in die typischen blauen 20-Fuß-Container für radioaktive Teile des Betreibers Energiewerke Nord(EWN).Die Zerlegeanlage wird im Moment nach Lubmin bei Greifswald gebracht-sie wird gebraucht.
Die EWN, entstanden aus dem Kernkraftwerkskombinat der DDR und eigentlich nur für den Abriss der Kraftwerke in Lubmin und Rheinsberg gegründet, hat den Auftrag für den Abbau des radioaktiven Teils des Kraftwerks Obrigheim(Baden-Württemberg)bekommen.
"Bei der EWN hat sich eine Menge Fachwissen angesammelt",sagt Jörg Möller.Die Spezialisten aus Rheinsberg und Lubmin sind gefragt, wenn es um den Rückbau von Kraftwerken geht-solche Leute findet man auf dem freien Arbeitsmarkt nicht.Jörg Möller lacht heute, wenn er an die mitleidigen Blicke denkt, die man ihm nach der Stilllegung der Anlage 1990 zugeworfen hat."Jetzt darfst du deinen eigenen Arbeitsplatz abreißen",sagten die Leute damals-und ahnten nicht,wie anspruchsvoll das werden würde.
Denn ein Kernkraftwerk zurückzubauen,ist nicht einfach ein Abriss.Die kerntechnische Anlage ist verstrahlt,sie muss sorgfältig zerlegt werden."Wir haben hier den Stand der Wissenschaft eingeführt",sagt Möller - also Verfahren erstmals in der Praxis erprobt. Und selbst nach dem Abbau der radioaktiven Anlage,bleibt das Gebäude ein Problem.In einem der Räume unterhalb des Reaktorsaals in Rheinsberg stehen zwei Männer in Schutzanzügen,mit Staubmasken,Handschuhen und Galoschen über den Schuhen - dabei dürfen selbst die den Kontrollbereich nicht verlassen.Sie waschen die Wände des Raums,die mit radioaktivem Staub belastet sind.Das Wasser wird selbstverständlich aufgefangen und gereinigt,die radioaktiven Reste gehen in Fässern und Containern ins Zwischenlager in Lubmin.
In dem Raum sieht es ansonsten aus wie überall im Kraftwerk. Rohre ,Leitungen, Anlagen sind weg, nur die Lüftung, der Strom und die Lampen sind geblieben.Restbetriebssystem heißt es im Fachjargon.Noch bis 2018 oder 2019 wird es dauern, bis alle Räume gereinigt und das Endlager entfernt ist.Doch das Ende des Rheisberger Kernkraftwerks ist das noch immer nicht.In den Beton des Reaktorhauses sind radioaktive Isotope eingedrungen. Sie sollen über 50 Jahre abklingen, dann kann das Gebäude ganz normal abgerissen werden,ohne riesigen Sicherheitsaufwand. Die EWN hat diese Lösung für Lubmin beantragt, für Rheinsberg soll der Antrag folgen,sobald die Auflagen für Lubmin klar sind - man muss die Arbeit nicht zweimal machen.
Erstmal allerdings entwickeln die Rheinsberger ein Verfahren zur Bergung des verseuchten Bodens. Die Anträge für das Projekt werden demnächst gestellt, sagt Jörg Möller.
Sprecher Kernkraftwerk Rheinsberg Jörg Möller(Zitat): "Wir haben hier den Stand der Wissenschaft eingeführt"