Neuer Kalender des Vereins Stadtgeschichte befasst sich mit historischen Villen - Künstler Tony Torrilhon gestaltete Transporttasche
Brian Kehrscherper
(aus: Ruppiner Anzeiger; 07.11.2014)
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden zahlreiche Villen in Rheinsberg. Sie wurden zum Teil von prominenten Prinzenstädtern bewohnt. Im Neuen Kalender des Vereins Stadtgeschichte werden einige der schönsten gezeigt und auf ihre bewegte Historie verwiesen.
Einige von ihnen prägen noch heute das Stadtbild, andere sind längst verschwunden und nur noch alteingesessenen Einwohnern bekannt: die Rheinsberger Villen. Vor allem im Norden der Stadt, entlang der heutigen Schillerstraße und der Dr.-Martin-Henning-Straße entstanden viele prachtvolle Wohngebäude. Der Verein Stadtgeschichte Rheinsberg hat zur Vergangenheit der Häuser recherchiert. Die schönsten Gebäude, oder jene mit der bewegtesten Geschichte und den bekanntesten Bewohnern, finden sich nun im neuen Jahreskalender des Vereins wieder.
Seit 2008 veröffentlichen die Hobby-Historiker Kalender mit weChselnden Themen. Nun präsentierte der Vorsitzende Jörg Möller das neuEste Exemplar. Verglichen mit dem ersten Kalender aus dem Jahr 2008 hat sich das Design stark verbessert. "Anfangs war es sehr mühselig, die Publikation zu gestalten, weil wir sehr bescheidene finanzielle Mittel hatten", so Möller. Doch die Nachfrage wuchs stetig. Wie groß der Anklang ist, den die Kalender finden, wird auch an der Zahl der Sponsoren deutlich. Gab es im ersten Jahr nur eine Handvoll Geldgeber, füllt die Auflistung der Unterstützer mittlerweile eine ganze Seite. Für Möller ist dies "ein Zeichen der „Anerkennung, die der Verein in der Stadt erhält".
Auch die Qualität des Kalenders ist stark gestiegen. Dafür zeichnet Sandra Bothe verantwortlich. Die 37-Jährige ist hauptberuflich als Restauratorin tätig. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich aber leidenschaftlich mit Grafikdesign. Die Frontseite des diesjährigen Kalenders hat sie im Stile eines Familienalbums gestaltet - schlicht und reduziert. Auch das Layout der Seiten ist inzwischen professioneller als noch in den Anfangsjahren.
Die wohl größte Arbeit lag jedoch in der Auswahl der Villen, die letztlich Eingang in den Kalender finden sollten und die Recherche zu ihrer Geschichte. Anfangs sei es nicht leicht gewesen, überhaupt Villen zu finden. Am Ende waren es jedoch mehr, als auf zwölf Monatsblätter passen. "Allein die Schillerstraße hat so viele Villen, dass sie einen eigenen Kalender verdient hätte", findet der Vereinsvorsitzende. Bei der Auswahl spielte nicht nur die Architektur eine Rolle, sondern auch, wer die Gebäude einst bewohnte. Die Vereinsmitglieder durchstöberten ihr eigenes Archiv und sprachen mit Einwohnern. Eine wichtige Quelle war auch das Privatarchiv von Wolfgang Buwert, der in Rheinsberg aufwuchs und mittlerweile in Frankfurt/Oder lebt. Johannes Lindau kümmerte sich um die Vereinheitlichung der Texte und das Lektorat. "Bei der Fülle an Informationen ist es schwer, das Interessanteste in kurzen knackigen Texten zusammenzufassen", beschreibt er die Schwierigkeit seiner Aufgabe.
Tatsächlich werfen die Villen ein interessantes Licht auf die Geschichte Rheinsbergs. Die Villa in der Dr.-Martin-Henning-Straße 33 etwa, in der heute die Stadtbibliothek untergebracht ist, wurde einst im Auftrag von Rudolf Poscich errichtet. Poscich hatte um die Wende zum 20. Jahrhundert die Carmol-Fabrik in Rheinsberg eröffnet, von der aus Medikamente für ganz Deutschland produziert wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nutzte die sowjetische Rote Armee das Haus als Kommandantur. Ab 1954 beherbergte es ein Land-Ambulatorium. Das wohl interessanteste Gebäude wird jedoch auf dem April-Kalenderblatt gezeigt: die Villa Miralonda. Sie stand am Ende der Schillerstraße kurz vor dem Seebad". Der Berliner Unternehmer Adalbert Vogt ließ sich das prachtvolle Haus zwischen 1887 und 1889 errichten. Zum Anwesen gehörten ein weitläufiger Park, der bis zum Gelände des heutigen Seebads reichte, und ein riesiger Springbrunnen. Besonders
markant war auch der Zwiebelturm an der südöstlichen Ecke. Ab 1940 waren in der Villa, die mittlerweile dem nationalsozialistischen Heer gehörte, Arbeitskräfte einer Munitionsfabrik untergebracht. Nach Einmarsch der Roten Armee wurde das Gebäude beschlagnahmt. 1945 oder 1946 brannte es aus ungeklärter Ursache nieder.
All diese Geschichten lassen sich nun nachlesen. Mit der Veröffentlichung der neue Publikation wurde zudem ein kleines Problem behoben. Bisher gab es keine passenden Tüten, um die Kalender bei Regen trocken zu transportieren. Der Verein bietet daher nun Beutel aus 100 Prozent Baumwolle an, in denen die Kalender Platz finden. Der Rheinsberger Künstler Tony Torrilhon, seit einigen Monaten Mitglied im Geschichtsverein, hat ein Motiv für die Beutel entworfen: Es zeigt die Postmeilensäule und das Vereinslogo. "Der Beutel sollte etwas ganz Typisches für Rheinsberg sein", so Jörg Möller. Nach seiner Auffassung ist das gelungen - und Rheinsberg hat mit Kalender und Tasche zwei Souvenirs mehr.
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Der Kalender ist zum Preis von neun Euro erhältlich. Der Beutel kostet 3,90 Euro. Beides kann in der Buchhandlung, der Touristinformation, der Bäckerei Läge, beim Heimatverein und in der Rhinpassage erworben werden.
BILDTITEL
Geschichtsträchtig: Die Villa in der Dr.-Martin-Henning-Straße 33 wurde vom Carmol-Fabrik-Gründer Rudolf Poscich bewohnt. Foto: Sammlung Verein Stadtgeschichte Rheinsberg