Ausstellung zum KKW Rheinsberg mit Zeitzeugenberichten und historischen Fakten zieht unzählige Interessierte an
win
(aus: Ruppiner Anzeiger; 09.09.2014)
Menz. Bis Mitte der 1960erJahre war Rheinsberg eine typische Kleinstadt. Dann kam das Kernkraftwerk (KKW) - und alles änderte sich. Der Standort war schon immer ein Politikum", sagte Sebastian Stude. Der Historiker erarbeitete gemeinsam mit dem Verein Stadtgeschichte Rheinsberg die Ausstellung „1955 Rheinsberg - Zwischen Blockwarte und Kulturhaus", die bis 31. Oktober in der Menzer Regionalwerkstatt zu sehen ist.
Seit 2012 befasst sich Sebastian Stude mit der Geschichte des KKW Rheinsberg. Er durchsuchte Bundes- und Landesarchive, sprach mit Zeitzeugen, Anwohnern und Umweltschützern. Die Angst der Menschen damals sei groß gewesen ... Sie sahen das Kernkraftwerk kritisch", so Stude. Es galt als „unbekanntes Risiko ". Im Mai 1966 ging das KKW nach neunjähriger Bauzeit in Betrieb. Es war das erste Kraftwerk in der ehemaligen DDR ein Pilotprojekt. Das KKW der ersten Generation speiste elektrischen Strom ins Verbundnetz. Aus Rheinsberg - bis dato ein idyllischer Urlaubsort - wurde ein Industriestandort.
In erster Linie produzierte das KKW Strom. Zuletzt arbeiteten fast 650 Menschen in dem „Versuchskraftwerk", das schnell zu einem Lehr- und Forschungsbetrieb wurde. Grundlagenforschung für kernenergetische Anwendungen gab es, Betriebsschlosser, Turbomaschinisten und Industriekaufmänner wurden ausgebildet.
Für Rheinsberg war das Werk ein Wirtschaftsfaktor: Allein für die Arbeiter entstanden zwei Wohnsiedlungen. Die Einwohnerzahl stieg. Schulen mussten erweitert werden. 1969 entstand eine große „HO-Kaufhalle", 1983 wurde diese sogar erweitert.
Doch „alte und neue“ Rheinsberger kamen laut Ausstellungsplakaten gut miteinander klar. Die Integration funktionierte. Der Rheinsberger Carneval Club, heute noch aktiv, wurde 1969 als Betriebsfasching des KKW ins Leben gerufen. Die Arbeiter betrieben zwei Kabarett-Gruppen und ein Tanzensemble. Mitte der 1970er-Jahre beteiligte sich das KKW auch an der Gründung des „Klubs der Gewerkschaft" in Rheinsberg. Mit Disko, Kabarett, Silvesterfeiern. 1980 entstand im Klub die erste Tucholsky-Gedenkstätte der ehemaligen DDR.
Doch nicht nur Wohlwollen löste das KKW aus. Von der SED als Prestigeobjekt betrachtet, sollte es im „Atomzeitalter" Überlegenheit gegenüber der Bundesrepublik demonstrieren. Die Betriebsdirektoren waren selbstredend alle SED-Mitglieder. Die Sorgen der Anwohner konnten sich jedoch nicht bestätigen. Der Betrieb verlief meist reibungslos. Laut interner Statistik gab es bis 1990 insgesamt 485 Störungen ... Insgesamt 41 Störfälle sind belegt, denen ein Einfluss auf den nuklear sicheren Betrieb des Kernkraftwerkes zugeschrieben wurde", steht auf einem Banner. Im November 1990 wurde das KKW Rheinsberg stillgelegt. Naturschützer und Kommunalpolitiker wollten den kompletten Rückbau. Das geschieht nach einem Rückbaukonzept.
Noch 1996 waren im KKW 74 frische Brennstoffkassetten gelagert. Diese wurden an die USA verkauft. Bis 2019 soll der Rückbau andauern (Stand: 2012). 600 Millionen Euro wird das mit Bundesmitteln finanzierte Projekt dann voraussichtlich verschlungen haben. Was aus der Fläche wird, ist offen.