Rheinsberger Verein Stadtgeschichte ließ 17 500 Seiten scannen und kostenlos ins Internet stellen
Christian Schmettow
(aus: Märkische Allgemeine; 24.05.2014)
Rheinsberg - Strohhüte undSpachtelkragen sind im Angebot, dazu Seeligs kandierter Kornkaffee ("gesund, wohlschmeckend, billig"). Und das Gaswerk sucht für sofort einen tüchtigen Arbeiter bei 40 Pfennig Stundenlohn.
Die Zeitungsseite ist schon etwas älter - von 1912, um genau zu sein. Die Kleinanzeigen stammen aus der Rheinsberger Zeitung (erschienen dreimal wöchentlich zwischen 1894 und 1942). Der Verein Stadtgeschichte Rheinsberg hat dieser Zeitung ein in der Region einmaliges Projekt gewidmet. Dabei wurden 17 500 originale Zeitungsseiten aus den Jahren 1925 bis 1942 gescannt und per Computer für jeden kostenlos zugänglich gemacht. Die ersten vier Jahrgänge stehen bereits in der Datenbank der Internetseite des Vereins Stadtgeschichte. Die übrigen Datensätze sollen bis zum Sommer eingelesen sein. Das Land Brandenburg förderte das Projekt mit einem vierstelligen Betrag.
Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in zahIreichen Kleinstädten eigene Zeitungen - so auch in Lindow und in Rheinsberg. Der Rheinsberger Verein Stadtgeschichte bekam immer wieder einzelne Exemplare geschenkt und machte sich schließlich systematisch auf die Suche. Dabei wurde schnell klar:
Kein Archiv der Welt hat alle Exemplare der Rheinsberger Zeitung aufgehoben. Der Vereinsvorsitzende Jörg Möller findet das sehr schade, denn es gebe kaum bessere Zeugnisse vergangener Zeiten als alte Tageszeitungen. '"Heute aktuell, morgen Wurstpapier, in 20 Jahren Geschichte", steht nicht umsonst auf einer blauen Altpapiertonne voller Zeitungen in der stadtgeschichtlichen Ausstellung in der Rheinsberger Remise.
Dann stieß der Verein auf das Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek Berlin. Dort werden exemplarisch Zeitungen aus aller Welt gesammelt. Und dort sind auch die Jahrgänge 1925 bis 1942 der Rheinsberger Zeitung vorhanden. Das holzhaltige Papier von damals sei brüchig und dem Säurefraß geradezu preisgegeben, erklärt die kommissarische Leiterin der Zeitungsabteilung in der Staatsbibliothek, Carola Pohlmann. Niemand hat beim Druck der Zeitung an die Ewigkeit gedacht. An Besucher könnten die alten Blätter nicht mehr herausgegeben werden. Doch zum Scannen reichte es gerade noch. Das Digitalisieren ist auch für die Staatsbibliothek ein Pilotprojekt gewesen, um die alten Zeitungen zu bewahren, denn früher oder später wird das bedruckte Papier ganz zerfallen.
Auch die Berliner werden die Rheinsberger Zeitung kostenlos ins Internet stellen - etwas später als der Rheinsberger Verein. Der ist bereits einen Schritt weiter: Sinnvoll nutzen lassen sich 17 500 Zeitungsseiten nur, wenn man in den Texten nach Schlagworten suchen kann. Bisher gibt es aber keine Texterkennungssoftware, die annähernd fehlerfrei die in Deutschland damals verwendete Frakturschrift lesen kann.
Deshalb hat der Verein jetzt über die Arbeitsfördergesellschaft Rabs für ein Jahr eine Vorleserin eingestellt: Seit April liest Isabel Kawitz die relevanten Artikel laut einem Computer vor. Der wandelt das gesprochene Wort dann in Text um - für die Datenbank des Vereins. Die Erzieherin hat ein Kind und liest gern vor. Das dickste Ding, das die schlanke 38-Jährige bisher in den alten Zeitungen fand, war die Geschichte der 600-Pfund-Dame Emmi, die 1925 in Rheinsberg ausgestellt wurde. In der Eisenbahn brauchte sie zwei Sitzplätze, und der Aussteller versprach 50 000 Mark jedem, der ihm einen schwereren Menschen präsentierte. Viel Geld beim damaligen Stundenlohn.
[Zitat]
"Tüchtigen Arbeiter bei 40 Pfennig Stundenlohn sucht sofort Gaswerk."
Anzeige in der Rheinsberger Zeitung vom 11. Juni 1912
[Bildtitel]
Isabell Kawitz liest laut die alten Zeitungen vor. Dahinter Jörg Möller vom Verein und Carola Pohlmann von der Staatsbibliothek.
FOTO: SCHMETTOW