Historiker Sebastian Stude erstellt für Rheinsberger Geschichtsverein eine Ausstellung
Carsten Schäfer
(aus: Märkische Allgemeine; 16.02.2012)
Das Kernkraftwerk hat Rheinsberg geprägt. Wie genau, soll im nächsten Jahr eine Ausstellung zeigen. Dazu werden auch die Geschichten von Zeitzeugen gesucht.
RHEINSBERG
Der Bau des Kernkraftwerks hat Rheinsberg verändert. Aus dem Ackerbürgerstädtchen wurde eine Industriestadt, plötzlich zogen viele Akademiker her. "Die Hälfte der Vereine wurde am Kernkraftwerk gegründet, als Betriebssportgruppen oder ähnliches", sagt Jörg Möller, Sprecher des Kernkraftwerks und Vorsitzender des Vereins Stadtgeschichte. Der Verein will nun die Geschichte des Kraftwerks und seiner Auswirkungen auf Rheinsberg aufarbeiten lassen. Gestern hat er dieses Projekt vorgestellt.
Dafür hat der Verein einen professionellen Historiker gewonnen: Sebastian Stude. Der 32-Jährige hat in Halle und Berlin studiert, lebt in Berlin und Menz und kennt Rheinsberg - seine Freundin arbeitet dort als Tierärztin. Außerdem ist er inzwischen Mitglied des Geschichtsvereins. Stude hat bereits verschiedene Projekte zur Regionalgeschichte in Brandenburg gemacht. Zuletzt war er in der Enquetekommission des Landtags zur Aufarbeitung der Nachwendejahre.
Er wird sich in den kommenden Monaten in diversen Archiven umsehen und mit Zeitzeugen sprechen. Die sind ihm besonders wichtig. "Geschichte, das sind auch die persönlichen Geschichten", sagte er gestern. Er hofft, dass sich viele Rheinsberger bei ihm melden. Auch der Kernkraftwerksbetreiber EWN werde vorbehaltlos sein Archiv öffnen, sagte Jörg Möller. Die Ergebnisse von Studes Arbeit sollen in eine Ausstellung einfließen. "Zwischen Blockwarte und Kulturhaus" wird sie heißen. Das soll die Bandbreite des Themas zeigen.Zu sehen sein wird diese Ausstellung in etwa einem Jahr, im Januar 2013. Sie soll aus acht Kapiteln von den Entscheidungen zum Bau ds Kraftwerks bis hin zur Stilllegung 1990 bestehen. Auch kritische Aspekte wie die Tätigkeit der Stasi im KKW oder die Störfälle sollen nicht ausgeblendet werden. Dazu will Sebastian Stude Objekte aus dem Kraftwerk zeigen, etwa eine Brennstoffkassette. Die Erkenntnisse sollen in einer Begleitbroschüre ´veröffentlicht werden. Wo genau die Ausstellung gezeigt wird, ist noch nicht klar - Sebastian Stude und Jörg Möller wäre der neue Saal in der Remise am liebsten.
Nach der Premiere in Rheinsberg wollen die Macher die Ausstellung den Schulen in der Region ausleihen. Viele Schüler wüssten heute gar nicht mehr, dass es in Rheinsberg ein Kernkraftwerk gab, so Jörg Möller. Er findet es spannend, sich die KKW-Geschichte jetzt anzusehen. "Es hat einen doppelten Perspektivwechsel gegeben", sagt er. Zum einen existiert die DDR nicht mehr, die das KKW in den 60er Jahren propagandistisch ausgeschlachtet hat - und wegen der Energiewende geht zudem die Atomenergie in Deutschland ihrem Ende entgegen.
Über die genauen Kosten des Projekts schwieg sich der Vereinsvorsitzende gestern aus. Das Geld kommt hauptsächlich von drei Sponsoren: der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung der Sparkasse Ostprignitz-Ruppin. Das Tucholsky-Museum unterstützt Sebastian Stude beim Entwurf der Ausstellung.
Der Historiker wird seine Arbeit am Montag im Bundesarchiv in Berlin beginnen. Dort gebe es viele spannende Akten, die selbst manchen Rheinsberger noch überraschen würden, sagte er. So habe er entdeckt, dass dort eine Sicherheitseinschätzung der DDR-Kernkraftwerke für das Politbüro der SED liegt. "Da kribbelt es mir schon jetzt in den Fingern", sagte er gestern.
INFO Für Zeitzeugen ist Sebastian Stude über den Verein Stadtgeschichte zu erreichen, 033931/37760, E-Mail: stadtgeschichte-rheinsberg@gmx.de, www.stadtgeschichte-rheinsberg.de.
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"Geschichte , das sind auch die persönlichen Geschichten"
Sebastian Stude
Historiker
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Das bekannteste Bild aus dem Rheinsberger Kernkraftwerk: Die Blockwarte zierte den DDR-Zehn-Mark-Schein.
Foto: Peter Geisler
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Historiker Sebastian Stude (l.) mit dem Vereinsvorsitzenden Jörg Möller gestern beim Start des Projekts.
Foto: Carsten Schäfer