In der Rheinsberger Remise wurde am Sonnabend eine Ausstellung zur Geschichte des Kernkraftwerkes in der Stadt eröffnet
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(aus: Ruppiner Anzeiger; 21.01.2013)
Lindow (km) Gut 100 Gäste hörten erwartungsvoll zu, als am Sonnabend Jörg Möller, Vorsitzender des Vereins Stadtgeschichte Rheinsberg, in der Remise die Ausstellung "1955 Rheinsberg zwischen Blockwarte und Kulturhaus" eröffnete.
Bis zum 1. April dieses Jahres bleibt die Exposition für jeden zugänglich, der Gegenwart und der Zukunft des im Rückbau befindlichen ehemaligen Kernkraftwerkes (KKW) Rheinsberg auseinandersetzen will - oder einfach neugierig ist, mit welchen Schwierigkeiten die Verantwortlichen zu kämpfen hatten, um das erste deutsche Kernkraftwerk ans Netz zu nehmen, dessen Bauzeit sich mit gut neun Jahren verdoppelt und dessen Baukosten sich vervierfacht hatten.
Neun große Schautafeln, mehrere gläserne Vitrinen mit Zeitdokumenten sowie eine Vielzahl von Momentaufnahmen und einige maßstabsgerechte Modelle "geben einen historischen Einblick in die Errichtung, den Betrieb und das Ende des KKW Rheinsberg. Es werden technische, politische und gesellschaftliche Aspekte beleuchtet - dazu kommen auch kritische Stimmen zu Wort", erklärte der Berliner Historiker Sebastian Stude den Besuchern der Veranstaltung. Der 33-Jährige hat sich ein Jahr lang der Forschungsarbeit im stillgelegten Kraftwerk gewidmet, hat das Ausstellungsmaterial zusammengetragen und - nunmehr als Vereinsmitglied - die begleitende 150-seitige Broschüre verfasst. Das alles wäre in diesem erstaunlich großen Umfang nicht möglich gewesen, hätten nicht die Energiewerke Nord GmbH, speziell der Betriebsteil KKW Rheinsberg, sein Betriebsarchiv zur Verfügung gestellt und dem verein dadurch "einen außergewöhnlichen Quellenzugang ermöglicht", so Stude. Ebenso großzügig haben die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Stiftung der Sparkasse Ostprignitz-Ruppin dieses Projekt unterstützt, erklärte Vereinsvorsitzender Möller in seinen Eröffnungsworten.
Laut handschriftlichem Eintrag im Betriebstagebuch wurde der Reaktor am 9. Mai 1966 um 13.45 Uhr offiziell in Betrieb genommen. Bereits 1955 kam eine erste Gruppe deutscher Wissenschaftler von ihrem Aufenthalt in der UdSSR zurück, kurze Zeit später wurde ein Abkommen über Hilfeleistungen auf dem Gebiet der Physik des Atomkerns und der Nutzung der Atomenergie für friedliche Zwecke von den beiden Staatschefs Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow unterzeichnet. Als das Kernkraftwerk 1966 als Pilotprojekt in Betrieb ging, "war es tatsächlich das erste deutsche Kraftwerk, das industriell elektrischen Strom für das öffentliche Verbundnetz produzierte", erinnerte Sebastian Stude.
Parallel dazu entwickelte sich Rheinsberg als kleiner Ort in ländlicher Provinz zu einer industriellen Kernstadt. Allein das KKW beschäftigte 650 Angestellte und etwa 100 Auszubildende. Die Einwohnerzahl stieg von 4000 auf 6000, neue Wohnsiedlungen schossen im Ostteil der Stadt in die Höhe, das kulturell-gesellschaftliche Leben wurde durch eine Vielzahl von KKW-Mitarbeitern gegründeten Vereinen angekurbelt. Mit Zahlen und Fakten wird diese Epoche in der Ausstellung belegt. Zwischenfälle im Kraftwerk werden ebenso beleuchtet wie die Arbeit der Menzer Umweltgruppe, die mit Pfarrer Reinhard Dalchow einen ganz anderen Standpunkt zur Atomkraft vertrat als der DDR-Staat. Außerdem gibt es eine Reihe von Berichten zur politischen und gesellschaftlichen Lage der Stadt, die von Parteifunktionären verfasst und von inoffiziellen Mitarbeitern bestätigt wurden.
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Die begleitende Broschüre ist für neun Euro in der Tourist-Information erhältlich. Neben dem Informationsmaterial aus der Ausstellung kommen in Interviews ehemalige Mitarbeiter wie Heinz Graupe, Siegfried Schweitzer, Harry Gottschalck, Helmut Gruhle, aber auch der Neuglobsower Fischermeister Adolf Böttcher und Pfarrer Dalchow zu Wort.