Der Historiker Sebastian Stude fand weithin unbekannte Details zum Kernkraftwerk
Holger Rudolph
(aus: Ruppiner Anzeiger; 06.09.2012)
Rheinsberg „Das Kernkraftwerk schrumpfte immer mehr“, sagte der Berliner Historiker Sebastian Stude. Seit acht Monaten beschäftigt er sich intensiv mit der Geschichte des unter dem Kürzel KKW bekannten Betriebs.
„1955 Rheinsberg - zwischen Kulturhaus und Blockwarte“ heißt die Ausstellung, an der er gemeinsam mit dem Verein Stadtgeschichte Rheinsberg arbeitet. 1955, so lautete in der DDR-Zeit die Postleitzahl der Stadt. Und im Jahr 1955 ordnete das SED-Politbüro an, dass auf einer Rheinsberger Exklave im Wald bei Menz das erste Kernkraftwerk der DDR entstehen soll. Als Vorzeigebetrieb hatte das Kernkraftwerk ein eigenes Kulturhaus. Von der Blockwarte aus wurde das Werk gesteuert.
Stude, der zurzeit auch in Menz lebt, hat sich verschiedener Archive bedient, um auch an weithin unbekannte Informationen zu gelangen. Zu seinen Quellen gehören das Bundesarchiv, das Brandenburgische Landesarchiv und das Kreisarchiv in Neuruppin. Auch historische Dokumente aus dem Rheinsberger Rathaus halfen ihm weiter, ebenso die Datenbank des Stadtgeschichts-Vereins, vor allem aber das Archiv des Kernkraftwerks selbst.
Eigentlich sollte das KKW bereits 1961 in Betrieb gehen. Doch der Bau verzögerte sich erheblich, so dass die Anlage erst 1966 fertig war. Die DDR hatte 80 Prozent der Baukosten zu tragen, die Sowjetunion übernahm 20 Prozent. Die Kosten liefen, wie Stude ermittelt hat, deutlich aus dem Ruder. Anfangs waren 90 Millionen Mark der deutschen Notenbank (MDN) angesetzt, am Ende wurde daraus mit 400 Millionen MDN mehr als das Vierfache. Die Währung DDR-Mark gab es erst in den 1970er Jahren. Dass die Kosten förmlich explodierten, habe auch daran gelegen, dass die Erfahrungen der DDR-Ingenieure beim Aufbau eines KKW gering waren. In Dresden-Rossendorf gab es zwar einen kleinen Versuchsreaktor. Ansonsten mussten sich die Bauleute aber weitgehend auf die Unterstützer aus der Sowjetunion verlassen. Die Hilfe vom Großen Bruder, die sich auf die Ausbildung Ostdeutscher in der UdSSR und die Vor-Ort-Betreuung in Rheinsberg durch sowjetische Spezialisten erstreckte, war von höchster Hand angeordnet. Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow schickte dem DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl 1958 ein Fax, in dem er die Hilfe zusagte.
Eigentlich hatte das Rheinsberger Kraftwerk viel größer werden sollen, wurde aber nach und nach immer mehr bis hin zur schließlich verbliebenen elektrischen Bruttoleistung von 70 Megawatt abgespeckt. Entstehen sollte zuerst auch ein Brennstoffkassetten-Werk. Letztlich entschieden sich die Verantwortlichen aber, die Brennstäbe komplett aus der Sowjetunion zu beziehen. Und auch auf das Zwischenlager für atomar belastetes Material, das zuerst vorgesehen war, wurde verzichtet.
Unter den Zeitdokumenten, die Stude in Archiven aufstöberte, befindet sich ein Foto des alten Forsthauses. das genau dort stand, wo heute das im Rückbau befindliche KKW seinen Platz hat. Die Idylle wich damals der Industrie.
Beeindruckend und spannend nennt Stude die Tatsache „ dass in den siebziger Jahren über Frankreich für Reparaturen am Kraftwerk US-amerikanische Technologie eingekauft wurde“. Das Embargo der Amerikaner gegenüber der UdSSR wurde auf diese Weise umgangen. Auch die an vielen Stellen im Kraftwerk benötigten nichtrostenden Rohre stammten wegen der hohen Qualitätsanforderungen sämtlich aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet.
Voraussichtlich ab Mitte Februar 2013 soll die Ausstellung in der Remise im Stadtzentrum gezeigt werden. Bereichert wird sie durch Originalteile aus dem Kraftwerk sowie verschiedene maßstäbliche Modelle. Finanziert wird das Projekt in der Trägerschaft des Vereins Stadtgeschichte durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung des SED-Diktatur, die Landeszentrale für politische Bildung und die Sparkassenstiftung Ostprignitz-Ruppin.
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Kernkraftwerk viel kleiner und teurer
Historiker forscht zu Rheinsberger Betrieb
Rheinsberg (hr) Bei seinen Recherchen zur Geschichte des Kernkraftwerks Rheinsberg (KKW) ist der Historiker Sebastian Stude auf einige Details gestoßen. In Archiven fand er Belege dafür, dass ursprünglich am KKW-Standort auch eine Brennelemente-Fabrik und ein Zwischenlager geplant waren. Klar wurde auch, dass schon damals öffentliche Bauten den Kostenrahmen sprengten. So schlug das Kraftwerk, obwohl viel kleiner als zunächst geplant, mit 400 statt 90 Millionen Mark zu Buche. Und statt 1961 wurde das KKW erst 1966 fertig.
Ab Mitte Februar 2013 werden die Ergebnisse von Studes Arbeit im neuen Ausstellungsraum der Rheinsberger Remise gezeigt. Die Energiewerke Nord, die das KKW derzeit zurückbauen, wollen die Schau mit Kraftwerksbauteilen und -modellen unterstützen. (Rheinsberg)