Kultur Nach 105 Jahren löst sich der Rheinsberger Arbeitergesangsverein „Vorwärts" auf. Die Anforderungen an einen Verein werden den 20 Mitgliedern zu groß. Von Jürgen Rammelt
Jürgen Rammelt
(aus: Ruppiner Anzeiger; 02.12.2025)
Es war keine leichte Entscheidung", sagt Siegfried Schweitzer, der Dirigent des Arbeitergesangs-verein „Vorwärts" Rheinsberg. Aber irgendwann hatte sich der Abschied doch angekündigt. Jetzt haben die Mitglieder des Chores beschlossen, den traditionellen Verein zum Jahresende 2025 aufzulösen. „Wir sind alle älter geworden, und es fehlt der Nachwuchs. Allein 14 der 20 noch aktiven Sänger sind 80 Jahre und älter. Mit einem Altersdurchschnitt von 78 Jahren, sind wir nicht mehr in der Lage, die Anforderungen an einen Verein zu erfüllen", sagt der Chorleiter.
Mit der Vereinsauflösung verstummt allerdings nicht der Chorgesang. Als „Männerchor Rheinsberg" wird die Sängergemeinschaft weiter existieren, eben nur nicht als Verein. Allein in diesem Jahr stehen noch fünf Auftritte, unter anderem beim Weihnachtskonzert im Schlosstheater und auf dem Weihnachtsmarkt, auf dem Programm.
Der Arbeitergesangsverein „Vorwärts" Rheinsberg wurde 1920 von Beschäftigten der einstigen Steingutfabrik gegründet. Von 1933 bis 1945 war er allerdings verboten und wurde erst 1946 wieder zugelassen. Das heutige Repertoire reicht von Volksliedern über modernes Liedgut bis zu alten Meistern, Seemanns- und Weihnachtsliedern.
Die Sangesgemeinschaft entwickelte sich schnell zu einem bekannten Klangkörper im damaligen Kreis Neuruppin und unterhielt Verbindungen zu Chören im gesamten Territorium bis nach Berlin und Mecklenburg. Mit seinen früher mehr als 60 Mitgliedern und bis zu 40 aktiven Sängern gehörte er zu den besten Männerchören im Kreisgebiet. Nach der Wende wurden freundschaftliche Verbindungen zu drei Männerchören in Hamburg, Ascheberg und Köln aufgenommen.
In der 125-jährigen Geschichte haben die Sänger Höhen und Tiefen erlebt. Es gab Jubiläen zu feiern, und an den Gräbern von Sangesbrüdern wurde Abschied genommen. Gründungs- und späteres Vereinslokal war die Gaststätte „Vier Jahreszeiten".
Gründungsmitglieder waren unter anderem Otto Stein, Richard Schulz und Otto Keitel. Erster Vorsitzender des Vereins war der Kommunist Adolf Giesecke. „In der Folgezeit fungierten Erich Gast, Albert Wolpert, Jürgen Pyrskalla und Siegfried Gawlick als Vorsitzende" erinnert sich Gerhard Läge, der selbst einige Jahre dieses Amt bekleidete. Unter dem Motto „Eine Sängerkehle ist keine Trockenkammer" traf man sich wöchentlich zum Probenabend.
Auch verschiedene Dirigenten hatte der Chor. Den Anfang machte Alfred Seyer, dem der Lehrer Erich Arndt und zwischenzeitlich auch Karl-Heinz Wollina und Wilfried Jäger folgten. Den Rekord hält jedoch Siegfried Schweitzer, der seit 53 Jahren, quasi mindestens ein halbes Menschenleben, dem Chor als Dirigent vorsteht. 2011 wurde ihm dafür die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen.
Mit der Abmeldung des Vereins steht auch die Frage, was mit der historischen Vereinsfahne passiert, die über den Krieg gerettet wurde. „Diese und andere Erinnerungstücke sowie Urkunden und andere wichtige Dokumente werden wir dem Verein Stadtgeschichte übergeben", sagt der Sänger und bisherige Schatzmeister Wolfgang Reinhardt, der neben Joachim Meyer als Liquidator benannt wurde.
Die Rheinsberger dürfen stolz auf ihren Männerchor sein, der neben dem Frauenchor bei vielen Veranstaltungen mit seinem Gesang die Zuhörer erfreut. „Das soll, solange es möglich ist, auch so bleiben", sagt Siegfried Schweitzer. Geprobt wird - möglicherweise mit dem einen oder anderen neuen Sänger - jeden Montagabend in der Gaststätte „Elfmeter".
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Der Arbeitergesangsverein, hier beim Konzert zu den Pfingstmusiktagen Foto: Jürgen Rammelt
Mit mehr als 40 Sängern war der Rheinsberger Gesangsverein einst stimmgewaltig.
