Martin Hennig bleibt Ehrenbürger
Christian Bark
(aus: Ruppiner Anzeiger; 21.07.2025)
[Datenbank & Archiv: DS/Inventarnummer 130579]
Antrag auf Aberkennung Vorwürfe gegen toten Arzt
Ehrenbürgerwürde Seit 75 Jahren ist der 1955 verstorbene Martin Henning Ehrenbürger der Stadt Rheinsberg. Nach ihm ist sogar eine Straße benannt. Von Christian Bark
Der Arzt Dr. Martin Henning gehörte in Rheinsberg gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und kurz danach zu den wenigen praktizierenden Medizinern. Vielen verwundeten Soldaten und Zivilisten rettete er das Leben. Dafür wurde ihm vor 75 Jahren die Ehrenbürgerwürde verliehen. Eine Straße wurde nach ihm benannt. Das soll jetzt rückgängig werden.
Ab 1906 hatte der 1875 in Wittstock geborene Martin Henning eine Arztpraxis in Rheinsberg. Später gründete er sogar eine kleine Klinik. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und auch in den ersten Nachkriegsjahren gehörte Henning zu den wenigen praktizierenden Medizinern in der Stadt. Wie der Chronist Erich Goßmann in der Märkischen Volksstimme (wahrscheinlich in den 1960er Jahren) schreibt, hatte der Chirurg 1945 buchstäblich alle Hände voll zu tun. Damals verlagerte sich das Kriegsgeschehen auch in die Rheinsberger Gegend. Henning behandelte sowohl verletzte Zivilisten und verwundete Soldaten als auch Menschen, die „Hand an sich legten". Goßmann schreibt weiter: „In all den Jahren seiner angespannten ärztlichen Tätigkeit hat
Henning kaum einmal richtig ausgespannt." Lediglich bei der Jagd habe er Entspannung gefunden. Henning soll bis zu seinem Tode 1955 hart gearbeitet haben.
1949 wurde wegen seiner Leistungen die Strelitzer Straße in Rheinsberg nach ihm benannt. 1950 verliehen ihm die Stadtverordneten und der Rat anlässlich seines 75. Geburtstags das Ehrenbürgerrecht der Stadt. Er ist heute einer von insgesamt acht Ehrenbürgern Rheinsbergs.
Aberkannt worden ist die Ehrenbürgerschaft zuletzt 2017 dem General, NSDAP-Anhänger und Hitler-Förderer Karl Litzmann (1850-1936). Nach ihm wurde im Zweiten Weltkrieg das von den Deutschen besetzte polnische Lodz in Litzmannstadt umbenannt.
Jetzt wird auch Martin Hennings Ehrenbürgerschaft infrage gestellt. Der im hessischen Burgwald lebende Jürgen Hansmeyer hat gegenüber der Rheinsberger Stadtverordnetenversammlung (SVV) einen Antrag auf posthume Aberkennung der Ehrenbürgerwürde sowie die Umbenennung der nach Henning benannten Straße gestellt.
Hintergrund ist eine bewegende Familiengeschichte des heute 80-Jährigen. In seinem Antrag berichtet Hansmeyer von der Liebesgeschichte seiner Eltern 1943/44 in Rheinsberg und Neuruppin. Demnach war der Vater damals als Obergefreiter in einer Reserveeinheit der Wehrmacht in Neuruppin stationiert. Während eines Lazarettaufenthalts lernte er Hansmeyers Mutter, eine Schwesternhelferin, kennen. Im Januar 1944 soll die Frau dann schwanger geworden sein, woraufhin der aus Rheinsberg stammende Soldat sie am 10. Juli 1944 heiratete. Bei ihren Schwiegereltern in Rheinsberg soll die junge Frau einen schweren Stand gehabt haben, was Ende 1944 zu einem Zerwürfnis und dem Auszug der Schwiegertochter führte. Die Schwiegermutter soll ihren noch an der Front kämpfenden Sohn dann zu einer Scheidungsklage überredet haben, die 1946 dann auch Erfolg hatte. Die Begründung: die Ehefrau soll versucht haben, ihrem Mann ein Kind unterzuschieben. Dessen Vater habe er nach Aussage des 1946 vom Gericht bestellten Gutachters Martin Henning aber nicht sein können.
Hansmeyer wirft dem Arzt eine falsche Berechnungsformel der Schwangerschaft wider besseres Wissen vor. Nach der damals bereits bekannten Berechnungsformel habe die Geburt am 22. September 1944 durchaus im Bereich des Möglichen gelegen und war nicht, wie Henning behauptet hatte, mindestens vier Wochen verfrüht.
[Bildtitel:] Dr. Martin Henning diente während des Ersten Weltkriegs als Stabsarzt. | FOTO: WILHELM GERLICH
[Fortsetzung S. 2:]
Martin Hennig bleibt Ehrenbürger [korrekt: Henning]
Ehrenbürgerwürde Die Rheinsberger Stadtverordneten lehnen das Ansinnen eines Hessen auf Aberkennung ab.
Rheinsberg. Ferner argumentiert Jürgen Hansmeyer, dass im Falle des Zweifels ein Blutgruppentest hätte angewandt werden können. „Offensichtlich bestand kein Interesse an der Findung der Wahrheit", schildert er. Die Vaterschaft des Rheinsbergers an dem Kind wurde 1947 gerichtlich aberkannt und damit auch alle Rechte auf Unterhalt.
Erst im Dezember 2019 hatte der Hesse vom Tod seines Erzeugers erfahren und daraufhin Gerichtsakten eingefordert. Gegenüber der Familie des Verstorbenen hegt er keine Ansprüche. Das Gutachten von Martin Henning sieht er aber als ursächlich für das tragische Schicksal von ihm und seiner Mutter. „Ganz gleich, welche sozialen Wohltaten zu der Ehrung des Dr. Martin Henning geführt haben", argumentiert er. Die posthume Straßenumbenennung und Aberkennung der Ehrenbürgerschaft würden aus seiner Sicht die Ehre der betrogenen Frau posthum wieder herstellen.
Zu der Sache hat der Verein für Stadtgeschichte auf Anfrage der Kommune Stellung bezogen. Der Vorsitzende Jörg Möller argumentiert unter anderem, dass Henning dennoch verantwortungsvoll und für das Wohl seiner Patienten engagiert gewesen sei. Auch müssten die schwierigen Rahmenbedingungen für den angeblich alleinigen Arzt in Rheinsberg gegen Kriegsende beachtet werden. „Wir zweifeln die Verleihung des Titels nicht an", so Möller in seinem Plädoyer. Der Verein, der in seiner Datenbank über zahlreiche historische Fotos und Akten von Martin Henning verfügt, bietet zudem seine Mithilfe bei weiteren Forschungen dazu an.
Der Argumentation folgten auch die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung bei ihrer jüngsten Sitzung. Sie lehnten den Antrag Jürgen Hansmeyers ab. Zu den Ablehnern gehörte auch Lysann Gutenmorgen (CDU). „Ich bin dabei den Ausführungen des Geschichtsvereins gefolgt", erklärt sie. So tragisch Jürgen Hansmeyers Geschichte sei, sie höre gern beide Seiten. Und das sei 70 Jahre nach dem Tod von Martin Henning nicht mehr möglich. br
Wer war Dr. Martin Henning?
Geboren als Martin Richard Ludwig Henning 1875 in Wittstock.
Abitur in Naugard/ Pommern. Medizinstudium in Freiburg/Breisgau und Greifswald.
1905 praktischer Arzt in Cottbus, ab 1906 dann in Rheinsberg.
1906 Heirat mit Elise Bertha Pilz (1879-1939) in Grünberg/Schlesien.
Mit ihr hatte der Arzt drei Söhne und eine Tochter.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs Gründung einer kleinen Klinik in Rheinsberg, die 1926 vergrößert wurde.
Im Zweiten Weltkrieg diente Henning im Kriegslazarett Hohenelse bei Rheinsberg.
1945 behandelte der Arzt überdurchschnittlich viele Soldaten und Zivilisten.
1949 wurde die vormals Strelitzer Straße nach Martin Henning benannt.
1950 Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch die Stadt Rheinsberg.
Gestorben 1955 in Rheinsberg. br
[Bildtitel:] 1949 erhielt die Strelitzer Straße in Rheinsberg den Namen Dr.-Martin-Henning-Straße. Foto: Jürgen Rammelt