Vortrag Nach dem Dreißigjährigen Krieg sind viele Dörfer der Region wüst. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm ist froh über Einwanderer. Carsten Dräger war zu Gast beim Rheinsberger Verein Stadtgeschichte. Von Jürgen Rammelt
Jürgen Rammelt
(aus: Ruppiner Anzeiger; 15.02.2025)
Mit mehr als 70 Zuhörern hat der Vortrag des Vereins Stadtgeschichte Rheinsberg am Dienstag eine unerwartete Beteiligung gefunden. Vermutlich war es dem Thema geschuldet. Diesmal ging es um die Besiedlung der Region vor über 250 Jahren durch Schweizer Kolonisten. Neben zahlreichen Rheinsbergern waren Bewohner aus umliegenden Orten, die um 1690 von Menschen aus der Schweiz wiederbesiedelt wurden, gekommen. Mit Carsten Dräger hatte sich der Verein einen profunden Kenner der Geschichte eingeladen. Der studierte Historiker, der als Schlossführer in Rheinsberg arbeitet, ist in der Region kein Unbekannter. Wenn irgendwo in der Gegend ein Ortsjubiläum gefeiert wird, ist er ein gefragter Ratgeber. Der Schulzendorfer, der auch Stadtführer von Gransee, Zehdenick und Fürstenberg ist und gern als Referent eingeladen wird, hat Drehbücher für Festumzüge geschrieben und Festschriften verfasst.
Seinen Vortrag beginnt er mit einer historischen Landkarte, die das damalige Ruppiner Land zeigt. Die Region reicht von Gransee im Osten bis nach Wusterhausen im Westen. Rheinsberg wird noch ohne „h" geschrieben, und Lüdersdorf hat am Ende zwei „f". Auch weitere Schreibweisen der Orte weichen von der heutigen ab. In der Mark Brandenburg regiert mit Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst, der spätere Deutsche König Wilhelm III.
Dass dieser froh ist und es zulässt, dass Menschen aus anderen Regionen in sein Land kommen, hat seinen guten Grund: Gerade ist der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) zu Ende gegangen. Zahlreiche Dörfer sind wüst. Die Gebäude sind zerstört, die Bewohner geflohen oder hingemetzelt. Da kommt es gelegen, dass eine Völkerwanderung einsetzt, indem sich Calvinisten, Hugenotten und eben reformierte Schweizer auf den Weg machen, um sich in einer neuen Heimat anzusiedeln.
Angeführt von einem „Lokator", dem Siedlungsbeauftragten, machen sich so Männer und Frauen, Alte und Junge aus dem übervölkerten Berner Oberland, aus Zürich und aus anderen Regionen der Schweiz auf den Weg ins Brandenburgische. Wie Dräger berichtet, kommen die ersten Auswanderer 1685 in Potsdam an. Fünf Jahre später erreichen auch Schweizer das Ruppiner Land. Sammelpunkt ist Lindow. Von da aus werden die reformierten Schweizer auf die wüsten Dörfer im Umland verteilt.
Neben den bereits ansässigen lutheranischen Einwohnern hat der Kurfürst den reformierten Schweizern Glaubensfreiheit zugesichert. „Doch das war nicht ganz konfliktfrei", berichtet der Referent. Die Schweizer bleiben unter sich, heiraten untereinander und beginnen mit ihren bescheidenen Mitteln, sich eine Existenz aufzubauen. Neben Lindow, Vielitz, Storbeck und Grambeck sind es vor allem die Orte Linow, Schulzendorf und Lüdersdorf, in denen zahlreiche Schweizer ansässig werden.
Im Weiteren berichtete Carsten Dräger vom Bemühen der Neusiedler, sich eine dauerhafte Bleibe zu schaffen. „Es waren arme, aber fleißige Menschen." Durch sogenannte „Ansiedlungsverträge" erhalten sie Land, einiges Vieh und Grundstücke, auf denen sie beginnen, ihre Häuser und Ställe zu errichten und die Felder zu bestellen. Ausführlich schildert Dräger, welche Bemühungen die reformierten Schweizer unternehmen, um sich eigene Gotteshäuser zu schaffen und welche Prediger in der Region wirken.
„Hilfe aus Brandenburg gab es nicht. Am Ende baten die Schweizer ihre Landsleute um Hilfe", berichtet der Historiker. Mittels gesammelter Kollekten kamen so 4600 Taler zusammen, die scheibchenweise nach 1700 den Gemeinden in Ruppiner Land zugeteilt wurden. So konnten die ersten Kirchen gebaut werden, von denen heute die in Storbeck, in Altlüdersdorf, in Schulzendorf sowie in Linow noch aus dieser Zeit stammen. „Die Namen zahlreicher Bewohner, wie Hoffer, Müller, Lehnacker und andere erinnern heute noch in den Dörfern und auf den Friedhöfen an die Siedler aus der Schweiz."
[Bildtitel oben:] Mit viel Mühe und Fleiß wurde die Kirche in Linow von den Schweizer Siedlern errichtet. Fotos: Jürgen Rammelt
[Bildtitel unten links:] Eine Gedenktafel an der Kirche [„Zum Gedenken der ersten 10 Schweizer Siedler in Linow 1691“]
[Bildtitel unten rechts:] Der Referent Carsten Dräger aus Schulzendorf