Gedenken.
Jürgen Rammelt
(aus: Ruppiner Anzeiger; 16.11.2023)
In Rheinsberg wurde in der Remise mit Film, Vortrag und Gesprächen an den Todesmarsch vor über 70 Jahren erinnert. Gut 50 Gäste waren zu der Veranstaltung gekommen, in der viele Emotionen zutage traten. Von Jürgen Rammelt
Es war ziemlich „deftige Kost“, die am Dienstagabend den Gästen des Vortrages in der Rheinsberger Remise serviert wurde. Wie an jedem zweiten Dienstag im Monat hatte der Verein Stadtgeschichte zu seiner traditionellen Veranstaltungsreihe eingeladen. Diesmal zusammen mit der Friedensrunde Rheinsberg, einer überparteilichen Gemeinschaft von engagierten Männern und Frauen, die sich für ein friedliches Miteinander engagieren.
Viele Emotionen
Auf dem Programm stand diesmal ein Film über den Todesmarsch. Unter dem Titel „Nicht verrecken“ war bereits im Vorfeld zu erahnen, dass das Thema emotional nicht einfach sein wird. Aber mit immerhin über 50 Gästen hatte die Veranstaltung eine beachtliche Resonanz gefunden. Auch Regisseur Martin Gressmann, der den Film geschaffen hat, war nach Rheinsberg gekommen.
Begrüßt wurden die Besucher von Hans-Norbert Gast, der sogleich das Wort an Jürgen Neumann von der Friedensrunde übergab. Der Film beginnt im Belower Wald bei Wittstock, wo sich die Gedenkstätte an den Todesmarsch befindet. Dort suchen Mitarbeiter einer Firma nach Spuren der Menschen, die dort im Frühjahr 1945 nach dem Marsch lagerten. Dann werden Bilder aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen gezeigt, von wo aus die Kolonnen auf den Weg nach Norden geschickt wurden. Es sind Besucher zu sehen, die in der Gedenkstätte sind. Zu sehen ist auch der Appellplatz, wo jeden Morgen die Häftlinge gezählt wurden und der Rundkurs, wo die Gefangenen das Material für die Herstellung von Schuhen testeten. Viele Stunden, und mit einer Last auf dem Rücken, mussten die Häftlinge auf der mit unterschiedlichen Belägen versehenen Strecke laufen, um Gummi, Naturkautschuk, Leder, Stoffe und weitere Materialien zu testen, die für Hitlers Kriegsproduktion benötigt wurden.
Am 21. April 1945 gibt es den Marschbefehl. Heinrich Himmler, der oberste Chef der KZ, und dessen SS-Truppen beginnen mit der Evakuierung der Häftlinge aus den Lagern. Man will verhindern, dass die anrückende Rote Armee Augenzeuge wird, was in den Vernichtungslagern passierte. In Gruppen zu 500 Personen werden die Häftlinge auf mehreren Routen aus den Lagern getrieben.
Zu Wort kommen im Film ehemalige Häftlinge, aber auch Augenzeugen aus den Orten, durch die der Todesmarsch führte. Die Häftlinge, die von Martin Gressmann interviewt wurden, kommen aus Polen, der Sowjetunion, aus Belgien, Frankreich und anderen Ländern. Was sie berichten und welche Strapazen sie erleiden mussten – eigentlich ist es unvorstellbar, was Menschen anderen Menschen antun konnten.
Wer beim Marsch nicht mehr mitkam, wird erschossen. Am Rand der Strecke werden die Toten einfach liegen gelassen. Menschen, die in den Orten den Häftlingen etwas zu Essen oder Trinken geben wollen, werden von den Bewachern davongejagt. Augenzeugen sind unerwünscht. Sie werden aufgefordert, sich in die Häuser zu begeben.
Mit Doris Lippuner aus Rheinsberg befindet sich unter den Gästen des Vortrages, eine 89-jährige Frau, die als junges Mädchen Augenzeugin des Todesmarsches war und im Film aus ihren Erinnerungen berichtet. Auch Gerhard Drews, der extra aus Neuruppin zum Vortrag gekommen ist, meldet sich am Ende des Films zu Wort und outet sich als Augenzeuge.
Fünf Jahre, von 2015 bis 2021, hat Martin Grossmann benötigt, um den Film herzustellen. Erschütternd am Ende ist die Schilderung eines russischen Gefangenen: Unter dem Verdacht, ein Spion der Deutschen gewesen zu sein, wurde er unter Stalin nach der angeblichen „Befreiung“ in einem sowjetischen Arbeitslager fünf Jahre interniert.
Neben den Interviews werden im Film in das Nichts führende Bahngleise, verlassene Orte, unwegsame Straßen und immer wieder die beeindruckende und schöne Natur Brandenburgs gezeigt – eine trügerische Idylle, wenn man bedenkt, was die geschundenen und entrechteten Häftlinge erleiden mussten und wie viele den Todesmarsch nicht überlebten.
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oben: Der Filmemacher Martin Gressmann, der extra zur Vorführung des Films nach Rheinsberg gekommen war, und Jürgen Neumann von der „Friedensrunde“ führten durch den Abend und moderierten die Diskussion. Fotos: Jürgen Rammelt
unten links: Doris Lippuner wurde im Film interviewt.
unten mittig: Obwohl Doris Lippuner Geburtstag hatte, war sie doch zu der Filmvorführung und Diskussionsrunde gekommen. Hans-Norbert Gas[t] begrüßte die Seniorin und gratulierte ihr.]