Mehr als 100 Zuhörer beim Vortrag von Siegfried und Elli Schwanz über das Ende des Zweiten Weltkriegs in der Prinzenstadt
Jürgen Rammelt
(aus: Ruppiner Anzeiger; 11.05.2018)
Rheinsberg. Es war ein spannender Vortrag, zu dem am Dienstag mehr als 100 Zuhörer in die Remise am schloss gekommen waren. Eingeladen hatte der verein Stadtgeschichte Rheinsberg, der am historischen 8. Mai an das Kriegsende und die Befreiung der Stadt durch die Rote Armee vor 73 Jahren erinnerte.
Vortragender war Siegfried Schwanz, ein ehemaliger Lehrer und Hobbyhistoriker, der mit seiner Frau Elli vor allem zur Geschichte der Region recherchiert und geforscht hat. Zahlreiche Publikationen hat das Ehepaar, das auch Fontanepreisträger ist, bekannt gemacht. Auch am Dienstag assistierte Elli Schwanz ihrem Mann, der in seinem Vortrag den 29. April 1945 als Schicksalstag von Rheinsberg in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte.
Wie Schwanz den Zuhörern erklärte, beruhen seine Kenntnisse über die letzten Kriegstage in Rheinsberg auf Berichte und Erinnerungen von Zeitzeugen. So nannte er Günter Modrow und Günter Nikolai, aber auch Karin Niemann und Peter Böthig als Quellen, die aus eigenem Erleben oder von Erzählungen als Chronisten dazu beigetragen haben, was heute noch bekannt ist. Schwanz machte aber auch deutlich, dass in den Jahren nach Ende des Krieges manches vergessen wurde und der Wahrheitsgehalt der Zeitzeugenberichte nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen muss.
Was das Kriegsende in Rheinsberg betraf, ging Siegfried Schwanz zuerst auf die allgemeine Situation ein. Anhand einer Karte zeigte er, wo sich die Fronten Mitte April befanden. Im Osten drängten die Armeen unter Führung der Marschälle der Sowjetunion Rokossowski, Schukow und Konew in Richtung Berlin vor und im Westen näherten sich die US-Amerikaner der Elbe.
Das hatte zu Folge, dass sich tausende Menschen, Angehörige der Wehrmacht, zersprengte Truppenteile, Einwohner, Flüchtlinge sowie Häftlinge aus den Konzentrationslagern der Nazis auf der Flucht oder auf dem Weg in einen ungewisse Zukunft waren. „Der 29. April war ein Sonntag, als sich die Front der Stadt Rheinsberg näherte“, berichtete Schwanz. „In Rheinsberg gab es mehrere Panzersperren. Offiziere der Heeresgruppe Mitte kampierten im Hotel Fürstenhof. Im Hotel ‚Deutsches Haus’ Befand sich ein Soldatensender.“
Um den sowjetischen Vormarsch zu erschweren, sollte Heinz Schmidt, ein Pioniersoldat aus Rheinsberg, der sich auf Genesungsurlaub in der Heimat aufhielt, die Rhinbrücke an der Obermühle sprengen. Doch er verminderte die Sprengladung, so dass die Brücke befahrbar blieb und floh in Richtung Westen, um nicht als Saboteur hingerichtet zu werden. Nach dem Krieg wurde der Rheinsberger, der die Brücke vor der Zerstörung rettete, Leiter der Feuerwehr.
Die Rote Armee schickte am 29. April einen Parlamentär mit einer Weißen Fahne nach Rheinsberg, der mit dem amtierenden Bürgermeister Winrich die kampflose Übergabe vereinbarte. Doch auf der Rückfahrt wird der Parlamentär vom NSDAP-Ortsgruppenleiter Recke erschossen. Winrich selbst wurde so unter Druck gesetzt, dass er mit seinen Familie Selbstmord beging.
Die folgende Einnahme der Stadt gestaltete sich grausam. Tiefflieger warfen Bomben ab und feuerten auf alles, was sich bewegt. Durch zahlreiche Bombentreffer wurden das Rathaus, die Villa Miralonda, das Schlosstheater und andere Gebäude zerstört. In der Stadt gab es zahlreiche Brände. Doch das schlimmste _ über 254 Menschen kamen ums Leben, 21 hatten sich vergiftet, 15 erschossen und zwölf erhängten sich. Die Stadt wurde zur Plünderung freigegeben. Es kam zu Vergewaltigungen und viele der Einwohner flüchteten in die umliegenden Wälder. Auch 85 Rotarmisten kamen ums Leben, von denen 62 auf dem Friedhof an der heutigen Dr.-Martin-Henning-Straße ihre letzte Ruhestätte fanden. Darunter auch der Parlamentär, dessen Mörder von einem Einwohner in Selbstjustiz erschossen wurde. Weitere 23 Sowjetsoldaten, die an ihren Kriegsverletzungen starben, wurden in Hohenelse begraben. Die beiden Ehrenfriedhöfe erinnern heute neben einigen Gräbern auf dem städtischen Friedhof an die Opfer der Schicksalstage von Rheinsberg. (jr)
[Bildunterschriften]
[Mitte links]:Hobbyhistoriker Siegfried Schwanz führte aus, warum der 29. April 1945 ein Schicksalstag für die Prinzenstadt war
[Mitte rechts]: Großes Interesse: Mehr als 100 Zuhörer lauschten dem Vortag in der Rheinsberger Remise.
Fotos(2): Jürgen Rammelt