Der Historiker und Wissenschaftler Sebastian Stude stellt in der Remise sein neues Buch „Roter Strom“ über das frühere Rheinsberger Kernkraftwerk vor.
Jürgen Rammelt
(aus: Ruppiner Anzeiger; 17.12.2022)
Das Interesse war groß. Zahlreiche Zuhörer waren zum Vortrag des Vereins Stadtgeschichte Rheinsberg in die Remise gekommen, wo das Buch „Roter Strom“ vorgestellt wurde. Geschrieben hat es der Historiker und Wissenschaftler Sebastian Stude, der auch Vereinsmitglied ist.
Ex-Mitarbeiter im Publikum Der über 400 Seiten starke Wälzer handelt vom Aufbau und Betrieb des Kernkraftwerkes Rheinsberg, dem ersten industriellen Atomkraftwerk auf deutschen Boden. daher war es auch kein Wunder, dass sich vor allem eine Vielzahl ehemaliger Kernkraftwerker unter den Besuchern befanden.
Eröffnet wurde die Veranstaltung von Jörg Möller. Der Vorsitzende des Geschichtsvereins ist ebenfalls pensionierter Kernkraftwerker. Er berichtete, dass Sebastian Stude vor zehn Jahren nach Rheinsberg kam und sich besonders für das inzwischen abgeschaltete Werk am Stechlinsee interessierte. Im Ergebnis seiner damaligen Recherchen entstand das Buch „1955 - Rheinsberg zwischen Blockwarte und Kulturhaus“, das inzwischen in dritter Auflage beim Verein erhältlich ist. Außerdem sorgte eine Ausstellung über das KKW für überregionales Aufsehen. In diese Zeit fallen auch die in dem jetzigen Buch verarbeiteten Zeitzeugengespräche mit Beschäftigten aus dem Werk.
Es ist sicherlich keine einfache Lektüre. Sebastian Stude Autor des Buches „Roter Strom“
Das nun vorgestellte Werk ist das Ergebnis der Doktorarbeit von Sebastian Stude. „Es ist sicherlich keine einfache Lektüre“, erklärten Stude und Möller. Letzterer hat das Buch bereits zur Hälfte gelesen. Allein die über 800 Quellenangaben, die bei einer Dissertation notwendig sind, behindern den Lesefluss. Um sich in die Zeit des Aufbaus zu versetzen, hat der Autor in zahlreichen Archiven geforscht.
Herrschaft und Legitimation Im Folgenden erklärt Stude, wo er sich bei seinem Stoff „entlang gehangelt“ hat. Es geht um Herrschaft und Legitimation, die die Basis bilden, in der DDR den Einstieg in die Kernenergiewirtschaft anzustreben. Begriffe wie „Wissenschaftlich-technische Revolution“ und „Einheit von Wirtschaft und Sozialpolitik“ kommen in Mode. Mithilfe der Kerntechnik soll sicherer, billiger und sauberer Strom hergestellt werden. Stude berichtet von vier Phasen der DDR-Kernenergiewirtschaft, die 1955 nach der Aufhebung des Verbots einer Atomenergieforschung ihren Anfang nehmen. In den Folgejahren entsteht zwischen dem Nehmitz- und Stechlinsee, mitten in einem Naturschutzgebiet, der Bau des ersten Atomkraftwerkes, in dem 20 Jahre lang ohne größere Havarien und Störfälle Strom erzeugt wird.
Doch sowohl der Bau des Werkes, als auch die Stromerzeugung ist sehr kostenaufwendig. Der Bau dauert neun Jahre. Mit der Wende und dem danach geltenden westdeutschen Atomrecht, fällt die Entscheidung, das Werk stillzulegen. Ein Großteil der Kernkraftwerker verlieren ihren Arbeitsplatz. Einige wenige Spezialisten gehen daran, das Werk zu demontieren
Gegenüber dem Buch, das bis auf Möller keiner im Raum bisher gelesen hat, ist eine gewisse Skepsis zu spüren. In der anschließenden Diskussion melden sich nur zwei ehemalige Kernkraftwerker zu Wort. Einer von ihnen will wissen, dass das Werk nicht im Naturschutzgebiet errichtet wurde. Für die reine Baufläche möge das stimmen, für die Umgebung nicht, wird erklärt.
Siegfried Schweitzer, der viele Jahre Leiter der Anlage war, bemerkt, dass aus heutiger bundesdeutscher Sicht, die Kernenergiepolitik eine subjektive Bewertung erfährt. Eine Anti-Atombewegung hat in Rheinsberg nie eine Rolle gespielt. Im Gegenteil, das Kernkraftwerk war ein wichtiger Arbeitgeber. Mit dem Bau des KKW entwickelte sich die Kleinstadt zu einem kulturellen, wirtschaftlichen und touristischen Zentrum. Die Arbeiterschaft war stolz auf das Geschaffene.
Werk war nicht rentabel Sebastian Stude wollte diese Argumentation so allein nicht gelten lassen. Aus historischer Sicht verwies er darauf, dass anhand der reinen Fakten das Werk nicht rentabel war. Die Kosten waren höher als der Nutzen. Und was die Sicherheit betrifft, wäre ein hoher finanzieller Aufwand und technische Aufrüstung notwendig geworden, um das Werk weiterhin sicher zu betreiben. Tschernobyl und Fukushima hätten gezeigt, welche Risiken die Atomindustrie birgt.
Die Entscheidung über den Ausstieg der BRD aus der atomaren Stromproduktion sehen einige Rheinsberger eher skeptisch. Ihrer Meinung nach bleibt abzuwarten, wohin die Entwicklung geht und ob in 20 oder mehr Jahren die Kernenergie in Deutschland wieder gesellschaftsfähig wird. Der Autor empfahl das Buch (ISBN: 978-3-96311-747-3), das es beim Verein Stadtgeschichte Rheinsberg zu kaufen gibt, zu lesen und sich dann eine Meinung zu bilden.
[Bildtitel:] Das mehr als 400 Seiten umfassende Buch handelt vom Aufbau und Betrieb des Kernkraftwerkes Rheinsberg, dem ersten industriellen Atomkraftwerk auf deutschen Boden. Foto: Jürgen Rammelt